Auf die feine Art
Ich dachte an Mallus totes Baby. Wollte ich ein Kind? Der Gedanke machte mir Angst. Ein Kind? Ich? Womöglich mit Antti? Dabei konnte nur eine egoistische Nervensäge rauskommen. Ganz unmöglich war die Vorstellung aber nun auch wieder nicht. Die biologische Uhr tickte, ich wurde bald dreißig und lebte nach langem Alleinsein endlich in einer halbwegs funktionierenden Zweierbeziehung. »Funktionierende Zweierbeziehung«, das hörte sich widerlich an. Es klang nach etwas, das man sich anschafft wie ein neues Sofa.
Wider besseres Wissen aß ich einen Hamburger und kam zeitig genug in die Kanzlei zurück, um vor dem Termin mit meinem Klienten meinen persönlichen Informanten im Polizeiarchiv anrufen zu können: meinen alten Kollegen Koivu. Zum Glück erreichte ich ihn in seinem Zimmer.
»Maria hier, hallo. Du, ich geb dir einen aus, wenn du zwei Strafregister für mich überprüfst. Erstens Hakala, Otso, genannt Ode, Geburtsdatum weiß ich nicht, er kann aber nicht viel älter als dreißig sein, hat mindestens Drogenbesitz auf dem Konto, und zweitens Hänninen, Sanna, geboren am 2. März 1962. Falls Hakala gerade sitzt, möchte ich wissen, ob er am zweiten März vorigen Jahres und letzten Samstag Freigang hatte. Wie geht’s bei euch?«
»Das alte Spiel. Kinnunen ist gestern besoffen zum Dienst erschienen, und der Chef macht sich wichtig, wie immer. Ich hab mir schon überlegt, den Kram hinzuschmeißen, wo du jetzt auch nicht mehr hier bist«, seufzte Koivu.
»Hmm«, brummte ich. An meinen früheren Arbeitsplatz im Gewaltdezernat des Helsinkier Polizeipräsidiums sehnte ich mich wahrhaftig nicht zurück. Pertsa irrte sich – als Juristin fühlte ich mich wohler.
Ich hatte mir eine ganze Reihe von Fragen zurechtgelegt, die ich Mallu stellen wollte. Als sie dann an der Tür stand, abgemagert und in Trauerkleidung, wusste ich nicht, wie ich anfangen sollte. Ich musste plötzlich an einen Krimi von Agatha Christie denken, in dem eine Bildhauerin mit einer Frauenskulptur die Trauer darstellte. Mallu hätte mit ihrem zu großen schwarzen Kleid, dem zerfurchten Gesicht und den herabhängenden Mundwinkeln für die Statue Modell stehen können. Es sah aus, als hätte sie seit Sonntag noch ein paar Kilo abgenommen.
»Weißt du, wo sich dein Exmann aufhält? Ich habe versucht, ihn zu erreichen, aber unter der Nummer meldet sich keiner.«
»Ich hab nichts von Teemu gehört«, fuhr Mallu auf.
»Hast du nicht versucht, ihn über den Tod deiner Schwester zu informieren? Außerdem stand es sogar in der Zeitung, hat er sich daraufhin nicht gemeldet?«
Mit verschlossenem Blick und lethargischer Stimme antwortete Mallu: »Was geht Teemu das noch an … Wir haben uns nichts mehr zu sagen.«
Der Unfall und die Fehlgeburt waren im März passiert, vor gerade mal drei Monaten. Wie hatten diese wenigen Monate die Laaksonens stumm gemacht, die gemeinsamen Jahre auslöschen können? Hatte außer der Kinderlosigkeit noch mehr an ihrer Beziehung genagt?
»Warum hast du mich angelogen? Du warst letzten Samstag nicht die ganze Zeit zu Hause, du bist in Tapiola gesehen worden.«
»Maria, ich bitte dich! Meine Schwester war gerade ermordet worden. Ich stand unter Schock, außerdem hatte ich am Sonntagmorgen ein Beruhigungsmittel geschluckt, um nicht durchzudrehen. Ich hab nicht gelogen, sondern mich falsch erinnert. Der Polizei hab ich gesagt, dass ich zum Einkaufen in Tapiola war. Ich hab Tiefkühlfisch geholt, der war nämlich im Angebot. Eigentlich hätte ich zwar lieber Morcheln genommen, aber …«
»Armi wollte dich vor zwei Uhr anrufen. Hat sie es getan?«
»Anrufen?« Mallus Überraschung klang echt. »Armi hat mich nicht angerufen. Wer hat das denn behauptet? Kann natürlich sein, dass sie es versucht hat, als ich beim Einkaufen war.«
»Als wir am Sonntag über Sanna Hänninen gesprochen haben, hast du gesagt, bei Sannas Tod hätte einer aus ihrer Familie nachgeholfen. Armi war fest davon überzeugt, dass Sanna ermordet wurde, wusstest du das?«
Mallu vergrub das Gesicht in den Händen, offenbar nicht, weil sie mit den Tränen kämpfte, sondern weil sie konzentriert nachdachte. Die Sonnenstrahlen, die durchs Fenster fielen, ließen die silbernen Strähnen in ihrem Haar wie Lametta aufleuchten.
»Du meinst, Armi wurde ermordet, weil sie wusste, wer Sanna …«, murmelte Mallu mit gesenktem Kopf.
»Das ist eine Möglichkeit. Hältst du das für denkbar?«
»Eigentlich schon.« Sie schaute auf und sah mir gerade in die Augen.
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