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Auf die feine Art

Auf die feine Art

Titel: Auf die feine Art Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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sich am Rand der Dessertschüssel berührten, war ich wie elektrisiert.
    Matti und Mikko schaufelten den Nachtisch in sich hinein und baten dann um Erlaubnis, nach draußen zu gehen. Kaum waren sie verschwunden, änderte sich das Tischgespräch radikal. Nun wurde ich ins Verhör genommen. Bestritt Kimmo die Tat immer noch, warum durchwühlte ich Sannas Sachen, wann begann der Prozess, kam es jemals vor, dass die Polizei den Falschen verhaftete? Gegen Ende des Gesprächs hätte ich schwören können, keine Chance zu haben, jemals zur Familie Sarkela zu gehören.
    »Es ist natürlich schön, dass du so eifrig darauf bedacht bist, Kimmo zu verteidigen«, meinte Risto. »Aber wir müssen den Tatsachen ins Auge sehen. Kimmo hatte eben … hmm, abweichende sexuelle Neigungen, unter deren Einfluss er, sicher ungewollt, Armi getötet hat. Ich konnte zuerst auch nicht glauben, dass Sanna alkoholkrank und obendrein in Rauschgifthandel verwickelt sein sollte. Aber so war es nun mal, das haben wir letzten Endes akzeptieren müssen.«
    Matti und Mikko spielten auf dem Hof Indianer, der eine fesselte den anderen an einen Baum. Ob die anderen bei dem Anblick die gleichen Assoziationen hatten wie ich?
    »Zum Glück bleiben Annamari noch die beiden Jungs«, seufzte Marita.
    »Wieso noch! Warum redet ihr von Kimmo, als wäre er auch schon tot? Wollt ihr ihn jetzt verstoßen, wie ihr es damals mit Sanna gemacht habt? Es wäre bestimmt eine Erleichterung für euch, wenn er sich in seiner Zelle erhängt, dann wäre der Fall erledigt und ihr könntet Kimmo endgültig vergessen!«
    Ich sprang vom Tisch auf wie ein Teenager nach einem Krach mit den Eltern. Was waren das für beschissene Typen! Als wären Menschen Gebrauchsgegenstände: oje, der Teller ist zerbrochen, aber das macht nichts, wir haben ja noch elf. Schwester, dieses Kind hat einen Produktionsfehler, es hat keinen Pimmel. Können wir es umtauschen? Das hätten meine Eltern wohl gern gesagt, als ich geboren wurde.
    »Maria, warte!« Antti war mir gefolgt, mit seinen langen Stelzen setzte er in wildem Tempo über die Baumstümpfe hinweg.
    »Verdammt nochmal, es wäre besser, man hätte gar keine Verwandten! Denk nur an meine Eltern; ich hab hauptsächlich ihnen zuliebe Jura studiert, weil ihnen mein erster Beruf nicht fein genug war. Nein, nein, unsere Tochter muss doch studieren. Wie kann man sich überhaupt noch Kinder zulegen, wenn man diesen ganzen Mist durchschaut?«
    »Nun mach mal halblang! Musst du denn immer das Maul aufreißen, bevor du alles durchdacht hast?«, fragte Antti mit ernstem Gesicht.
    »Ich kann diese Gleichgültigkeit und Verantwortungslosigkeit einfach nicht ertragen! Du bist der Einzige, der sich wirklich um Kimmo Sorgen macht.«
    »Das stimmt nicht. Die anderen versuchen nur, sich zu wappnen, falls es schlimm ausgeht.«
    »Was ist denn das Schlimmste? Dass Kimmo jahrelang im Gefängnis sitzt? Oder die öffentliche Schande?«
    »Maria, bitte! Ich bin auch wütend. Aber das bringt doch nichts. Das Einzige, was helfen kann, ist sicheres Wissen.«
    »Sorry. Eigentlich schlag ich mich mit meinen eigenen Schuldgefühlen rum. Warum hab ich nicht versucht, Sanna zu helfen, warum hab ich Armi nicht gefragt, worüber sie reden will …« Wütend trat ich gegen einen bemoosten Stein. Er kam ins Rollen, ein paar kleine Insekten flitzten verschreckt unter den nächsten Stein. Warum musste ich die unschuldigen Viecher aufschrecken?
    Wir liefen fast zwei Stunden durch den Wald, dann wurde es Zeit, zur Bushaltestelle zu gehen. Während ich meine Sachen zusammensuchte, entschuldigte ich mich ein wenig gezwungen bei Anttis Familie. Ristos Einstellung hatte in mir den Verdacht geweckt, dass er weniger Kimmo als jemand anderen schützen wollte. Aber wen – etwa sich selbst?
    Ich hatte mich mit Koivu für acht Uhr in der Corona-Bar verabredet. Daher stieg ich schon an der Lapinrinne aus und ging am kleinen Park vorbei zu der Kneipe. Gerade jetzt sehnte ich mich in meine alte Wohnung in Töölö zurück, von wo man überall zu Fuß hinkam. Ich vermisste sie ebenso wie das Geschirrklappern in der Mensa und das Flanieren auf der Esplanade.
    In Tapiola war alles anders. Tapiola war eine Welt für sich, viel einförmiger und langweiliger als Helsinki, das immer bunter wurde. Tapiola war eine Kombination von Dorf und Metropole, dort hatten alle dieselbe Schule besucht oder in derselben Mannschaft Basketball oder Eishockey gespielt. Auch Antti sagte immer, er käme aus Tapiola,

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