Auf die Ohren
sind eindeutig erschwerte Bedingungen für jeden Schlagzeuger. Aber irgendwie kriege ich das schon hin.
Ich lasse die Sticks sachte über die Snare rollen – ein Trommelwirbel beginnt immer leise.
»Okay, schieß los!«, fordere ich Clarissa auf.
»Sehr verehrte Bandmitglieder!«, beginnt sie mit der Inbrunst eines Zirkusdirektors. »Kommen wir nun zum Höhepunkt des heutigen Abends – zur Verkündung der sensationellsten Nachricht aller Zeiten!«
Mein Trommelwirbel wird lauter.
»Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus!«, fährt Clarissa fort. »Nicht mehr lang und wir werden die Weltöffentlichkeit zum ersten Mal mit unserer Musik beglücken! Dieses Ereignis wird wegweisend sein und wir müssen unser Bestes, unser Herzblut dafür geben! Vor allem, weil …«
Sie nickt mir zu, ich steigere den Trommelwirbel in Richtung Höhepunkt.
»Vor allem, weil an diesem Abend ein Talentscout von Sony Music da sein wird, um uns zu sehen!«
Ich breche den Trommelwirbel ab – nicht, weil es so sein muss, sondern weil meine Hände wie auch alle anderen Körperteile plötzlich erstarrt sind. Das hat sie gerade nicht wirklich gesagt, oder?
»Was?!«, keucht Christopher stellvertretend für uns alle fassungslos. »Nie im Leben! Du verarschst uns doch, oder?!«
»Also es steht noch nicht hundert prozentig fest«, sagt Clarissa. »Aber er hat es sich fest vorgenommen und sogar in seinen Terminkalender eingetragen. Zumindest hat er das gesagt.«
»Wer hat das gesagt?«, fragt Steffen.
»Na, der Typ von Sony«, antwortet Clarissa. »Am Telefon. Ich hab’s genau gehört.«
» Du hast mit einem Typ von Sony telefoniert?«, hakt Robbie ungläubig nach.
»Nein, ich doch nicht«, sagt Clarissa. »Mein Onkel. Er hat ihn gestern gleich angerufen und mich mithören lassen. Der Typ ist ein alter Freund von ihm. Er wohnt quasi hier um die Ecke. Und er hat gesagt, er kommt zu unserem Auftritt, Jungs! Ist das nicht der absolute Hammer?!«
Allerdings, das ist es. Der Talentscout einer der größten Plattenfirmen der Welt kommt höchstpersönlich vorbei, um sich eine kleine, mehr als unbekannte Punkband anzusehen. Unsere kleine Punkband. Die Band, in der ich Schlagzeug spiele. Das ist groß. Das ist riesig. Das ist monströs.
Ein äußerst flaues Gefühl breitet sich in meinem Magen aus und meine Knie werden weich, obwohl ich gar nicht stehe. So fühlt es sich also an, wenn man seinem Lebenstraum völlig unerwartet ein ganzes Stück näher gekommen ist? Ich meine, das ist es, was ich immer wollte – Rockstar werden.
Schon als Kind habe ich mit einem Federballschläger als Gitarrenersatz aus voller Kehle Beatles -Songs mitgrölend vor dem Spiegel gepost. Okay, das mit dem Federballschläger hat sich mittlerweile erledigt, Gitarre spielen lag mir irgendwie nicht. Aber Musik machen, auf einer Bühne stehen (oder jetzt eben sitzen) vor einem Riesenpublikum, das wollte ich immer. Diese Band hier sollte der erste kleine Schritt in diese Richtung sein. Und plötzlich kommt jemand und gibt einem von hinten einen kräftigen Schubs, der einen seinem Ziel ein ganzes Stück näher bringt.
Schon klar, nur weil dieser Typ eventuell zu unserem Konzert kommt, heißt das noch lang nicht, dass wir plötzlich über Nacht berühmt werden und Punkrockgeschichte schreiben. Aber die Chance, dass dieser Traum irgendwann einmal in Erfüllung geht, erhöht sich dadurch um ein Vielfaches. Was, wenn er uns tatsächlich gut findet? So gut, dass er uns einen Plattenvertrag anbietet? Ich meine, ein Plattenvertrag! Das begehrteste und wertvollste Dokument in jedem Rockstarleben! Mit einem Plattenvertrag fängt alles an, ohne Plattenvertrag geht gar nichts.
Wie geil das sein muss, die erste eigene Platte aufzunehmen. In einem richtigen Studio. Mit absoluten Profis. Könnte ich das überhaupt? Bin ich dafür als Schlagzeuger gut genug? Was, wenn nicht? Oh Gott, ich muss unbedingt mehr üben vor dem Konzert! Und zwar allein, ganz gezielt. Auf dem Hi-Hat habe ich noch ein paar Schwächen und meine Rolls sind auch nicht immer perfekt, das muss definitiv besser werden. Ja, das mache ich, gleich morgen fange ich an. Ich werde mir für dieses Konzert den Arsch abüben! An mir wird es nicht liegen, sollte dieser Sony-Typ uns scheiße finden. Ich kann nur hoffen, dass die anderen eine ähnliche Einstellung entwickeln. Wir müssen alle alles geben an diesem Abend. Wir sind eine Band, und eine Band ist immer nur so stark wie das schwächste Mitglied – was
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