Auf die Ohren
sowieso nie.«
Oh Mann, geht das schon wieder los! Die beiden lachen sich kaputt und geben sich einen Clap.
»Ist mal gut jetzt mit den Schlagzeugerwitzen«, sage ich energisch und stapfe hinter meine Schießbude. »Lasst uns lieber loslegen, bevor euch die Batterien ausgehen.«
»Gute Idee«, stimmt Christopher mir zu. »Womit fangen wir an?«
» Ugly Ulli?«, schlage ich vor. »Oder warte! Hast du nicht heute Morgen gesagt, du hättest einen neuen Song geschrieben? Dann lass uns doch damit anfangen.«
»Neuer Song?«, sagt Steffen. »Ja, geil! Spiel mal vor!«
»Ach nee, lieber nicht«, druckst Christopher herum. »Der ist nicht so toll, wie ich zuerst gedacht habe.«
»Bullshit«, erwidere ich. »Das hast du bei Herzen aus Deutschland auch gesagt, und das ist jetzt unser geilstes Lied.«
»Genau«, pflichtet Clarissa mir bei. »Spiel’s doch einfach mal.«
»Aber … aber das ist echt was ganz anderes«, windet sich Christopher. »Das passt überhaupt nicht zum Rest. Und … und außerdem haben wir jetzt gar keine Zeit mehr für einen neuen Song. Wir sollten lieber zusehen, dass wir die anderen richtig draufkriegen.«
»Papperlapapp, alles faule Ausreden«, sage ich. »Was, wenn das ausgerechnet der Song ist, auf den der Sony-Typ abfahren würde? Los, lass dich nicht so feiern. Wenn er nichts taugt, müssen wir ihn ja nicht spielen.«
»Na gut«, seufzt Christopher und rückt seine Gitarre zurecht. »Aber ihr müsst’s echt sagen, wenn ihr ihn scheiße findet, okay?«
Wir schweigen ihn gemeinsam erwartungsvoll an.
»Eigentlich bräuchte ich dafür meine Akustikgitarre«, erklärt er und schiebt sich sein Plek zwischen die Zähne.
Wie bitte, was? Akustikgitarre? Und er spielt ohne Plek? Na das ist tatsächlich mal etwas ganz anderes.
Er fängt an. Eine langsame, gezupfte Melodie ertönt. Okay, verstehe, das ist nur das Intro. Er will uns einlullen, auf eine falsche Fährte führen, bevor es wirklich losgeht. Jede Wette, noch zwei Durchgänge und es gibt voll was auf die Fresse. Wie bei dieser Rockabilly-Version von Purple Rain. Die fängt auch so an, als wollten diese Jungs damit der Schlaftablettenindustrie Konkurrenz machen, aber dann geht’s richtig ab. Los, Christopher, lass es krachen!
Pustekuchen. Die Melodie plätschert weiter vor sich hin, noch ein Durchgang und noch ein Durchgang und noch ein Durchgang. Also, so langsam müsste da mal was passieren.
»Das ist die Strophe«, erklärt Christopher.
Wie, das ist schon die Strophe? Ich dachte, das wäre nur ein viel zu langes Intro?
»Jetzt kommt die Bridge«, sagt Christopher.
Alles klar. Dann geht’s wahrscheinlich im Refrain endlich zur Sache. In der Bridge passiert jedenfalls nicht viel.
»Refrain«, kündigt Christopher an.
Okay, jetzt aber! Gib’s uns, Christopher! Punkrock, auf die Fresse!
Von wegen. Was ist das denn? Er hat zwar aufgehört zu zupfen und spielt Akkorde, aber das Tempo hat sich nicht verändert. Ich rutsche unruhig auf meinem Hocker hin und her. Meine Hände zucken, ich verspüre den unbedingten Drang, laut und schnell »Eins, zwei, drei, vier!« zu brüllen und auf meine Drums einzudreschen, um diesem Lied die bitternötige Wendung zu geben. Steffen dreht sich zu mir und wirft mir einen fragenden Blick zu, auf den ich mit einem ratlosen Schulterzucken antworte.
»Und wieder zurück in die Strophe«, sagt Christopher.
Die Melodie vom Anfang erklingt noch zwei Durchgänge lang, dann lässt er den letzten Ton ausklingen.
»Dann wieder Bridge und Refrain, weiter bin ich noch nicht«, erklärt Christopher und tritt verlegen von einem Bein aufs andere. »Und, was sagt ihr?«
Mir fehlen schlicht und einfach die Worte. Ich habe ja mit vielem gerechnet, aber damit nun wirklich nicht. Ein Blick in die Augen der Jungs zeigt mir, dass es ihnen ähnlich geht. Bleibt nur die Frage, wer es Christopher möglichst schonend, aber unmissverständlich beibringt. Seufz. Ich fürchte, das muss ich wohl übernehmen, schließlich ist er mein bester Freund. Aber wie erklärt man seinem besten Freund, dessen Songs man bisher ohne Ausnahme großartig fand, dass seine neueste Kreation ein Griff ins Klo war, ohne ihn dabei zu verletzen? Da bleibt leider nur eine Möglichkeit: Ich muss lügen, muss die nackte, grausame Wahrheit schön verpacken und mit Zucker bestreuen, damit er sie ohne bitteren Nachgeschmack schlucken kann.
»Also, ich … ich fand es wunderwunderschön.«
Nein, so nicht, das ist dann doch eine Portion zu viel
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