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Auf die Ohren

Auf die Ohren

Titel: Auf die Ohren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Till
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Zucker, das nimmt er uns nie ab. Moment mal, hat das gerade eben wirklich jemand gesagt?! Und am Ende vielleicht sogar so gemeint?!
    »Ich … ich weiß nicht«, fährt Clarissa fort und wischt sich mit dem Zeigefinger eine Träne aus dem Augenwinkel. »Das hat mich total berührt, das ging irgendwie ganz tief rein. Es gibt nur sehr wenige Lieder, die das bis jetzt bei mir geschafft haben. Das ist ein großartiger, großartiger Song, Christopher.«
    »Danke«, sagt Christopher leise und wird ein bisschen rot um die Wangen. »Damit hätte ich jetzt echt nicht gerechnet.«
    Ich auch nicht. Ich meine, klar, Clarissa ist meine Freundin und ich liebe sie über alles, aber in diesem Augenblick frage ich mich zum allerersten Mal und wirklich ernsthaft, ob sie noch ganz richtig tickt. Natürlich, sie kann den Song von mir aus zum besten Lied aller Zeiten deklarieren, nichts dagegen. Vielleicht ist er sogar tatsächlich großartig, wenn man ihn für sich und aus dem Zusammenhang genommen betrachtet, das kann und will ich gar nicht beurteilen. Was ich allerdings beurteilen kann und muss, ist die offensichtliche und unbestreitbare Tatsache, dass dieser Song nicht zu unserer Band passt! Das ist vielleicht ein Oasis -Song oder ein Coldplay -Song oder eine U2 -Nummer, aber es ist definitiv kein Auf-die-Ohren -Lied! Schon allein deswegen darf sie es vor demjenigen, der es geschrieben hat, nicht derartig in den Himmel loben, denn wir werden es mit Sicherheit nie spielen! Und ich bin derjenige, der das Christopher jetzt irgendwie beibringen muss, nachdem sie ihn völlig unnötig aufgebaut hat. Vielen herzlichen Dank auch!
    »Ich habe auch schon eine passende Gesangslinie für die Strophe im Kopf«, sagt Clarissa. »Beim Refrain bin ich mir nicht so sicher, dafür müsste ich es noch ein paarmal hören.«
    »Ich hatte da eventuell an was Zweistimmiges gedacht«, sagt Christopher.
    »Ja, kann ich mir auch gut vorstellen«, stimmt Clarissa ihm zu. »So ein bisschen was Simon-&-Garfunkel -mäßiges.«
    Simon&Garfunkel? Höchste Zeit einzuschreiten!
    »Äh … Leute? Ich weiß ja nicht, ob es euch schon aufgefallen ist, aber das ist eine Ballade«, sage ich und versuche das Wort »Ballade« so klingen zu lassen, als hätte ich »Beulenpest« gesagt.
    »Ja, und?«, erwidert Clarissa.
    »Eine Ballade«, wiederhole ich mit Nachdruck. »Wir sind eine Punk band. Wir spielen keine Balladen. Oder, Jungs?«
    Ich wende mich mit um Beistand flehenden Blicken an Steffen und Robbie.
    »Ja«, sagt Steffen. »Ich meine, nichts gegen Balladen, und der Song ist echt gut, aber dann doch irgendwie einen Tick zu soft.«
    Saubere Taktik, Steffen – mehr loben, als meckern, und trotzdem das Wesentliche auf den Punkt bringen, das hätte ich nicht besser hingekriegt.
    »Ich hab’s euch ja vorher gesagt, das Ding passt nicht zum Rest«, sagt Christopher ein bisschen enttäuscht. »War auch mehr so als Experiment gedacht. Hätte ja sein können, dass ihr auf so was Bock habt. Macht aber nichts, wenn wir’s nicht spielen. Kann ich absolut nachvollziehen.«
    Na also, dann wäre das ja geklärt, sehr gut.
    »Moment, jetzt warte doch mal«, sagt Clarissa. »Ich finde, darüber sollten wir reden. Der Song ist wirklich toll und ich sehe keinen Grund, weshalb wir nicht auch eine Ballade im Programm haben können. Es gibt ja schließlich auch Punk balladen, oder?«
    »Ja, aber wir spielen keine«, erwidere ich schnell, um einer Diskussion vorzubeugen. »Das haben wir damals so ausgemacht, als wir die Band gegründet haben. Stimmt’s, Christopher? Robbie?«
    »Ja, das stimmt«, bestätigt Christopher, während Robbie wieder einmal unbeteiligt mit den Achseln zuckt. »Deswegen war mir ja auch eigentlich vorher klar, dass der Song nicht infrage kommt. Ich wollt’s nur trotzdem mal versuchen.«
    »Und zwar völlig zu Recht!«, sagt Clarissa. »Wann habt ihr die Band gegründet? Vor über zwei Jahren, oder? Ich meine, da ist doch einiges passiert in der Zwischenzeit, ihr habt euch doch musikalisch sowieso weiterentwickelt, oder? Da muss man doch nicht krampfhaft an so einer selbst auferlegten Einschränkung festhalten. Außerdem war ich damals noch nicht dabei. Oder habe ich hier etwa nichts zu sagen?«
    Oh-oh. Houston, wir haben ein Problem. Die wahrheitsgemäße Beantwortung dieser Frage könnte zu empfindlichen Beeinträchtigungen in meinem Liebesleben führen.
    Nein, Clarissa hat in Sachen Bandentscheidungen tatsächlich nichts zu sagen. Aber um eins

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