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Auf die Ohren

Auf die Ohren

Titel: Auf die Ohren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Till
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beantworten, Herr Kleinschmidt«, sagt Töpfer. »Und die letzte Frage wird mit Sicherheit auch nicht in Ihr Prüfungsergebnis einfließen. Herr Direktor, wenn Sie keine Fragen von historischer Relevanz stellen, muss ich Sie nachdrücklich bitten, den Raum zu verlassen.«
    »Ach ja?«, knurrt der Direx. »Sie und welche Armee?«
    »Das werden Sie dann schon sehen«, knurrt Töpfer zurück. »Oder haben Sie etwa schon vergessen, wer im letzten Jahr den Box-Workshop für das Kollegium geleitet hat?«
    »Genau«, sagt Frau Hannemann und lässt ihre rechte Faust laut in die linke Handfläche klatschen. »Und ich war beste Kursteilnehmerin – nicht nur bei den Frauen.«
    Also wenn es hier nicht gerade ernsthaft um meine Zukunft gehen würde, läge ich aller Wahrscheinlichkeit nach vor Lachen brüllend auf dem Boden. Das glaubt mir doch kein Schwein, wenn ich das nachher auf dem Schulhof erzähle.
    »Na gut, na gut«, brummelt der Direktor vor sich hin. »Dann eben historisch relevante Fragen.« Er überfliegt erneut die Liste, schiebt sie beiseite und sammelt sich. »Also, Herr Kleinschmidt«, wendet er sich wieder an mich, »dann wollen wir doch mal sehen, ob Sie die folgende Frage beantworten können. Bedenken Sie bitte bei Ihrer Antwort, dass sie maßgeblich und wegweisend für Ihren zukünftigen Lebensweg sein wird. Sind Sie bereit?«
    Ich nicke – was bleibt mir anderes übrig?
    »Gut, also Herr Kleinschmidt, wir verlassen nun kurz die Zeit des Zweiten Weltkrieges und wenden uns der jüngeren Geschichte zu«, sagt der Direx und beugt sich mit bohrendem Blick über den Tisch. »Wo waren Sie am Sonntag, den 18. Mai letzten Jahres, zwischen neunzehn und neunzehn Uhr dreißig?«
    Wie bitte, was?! Was soll das denn jetzt? Was hat denn das mit Geschichte zu tun? Und woher soll ich denn heute noch wissen, was ich vor einem Jahr … Oh. Na klar. Ich weiß, worauf er hinauswill. Und ich weiß auch sehr genau, wo ich zu besagtem Zeitpunkt war. Unfassbar. Er versucht tatsächlich immer noch, mir die Sache mit seinem Benz und dem Tapetenkleister anzuhängen!
    »Herr Direktor«, versucht Töpfer einzuschreiten. »Ich denke nicht, dass diese Frage …«
    »Lassen Sie den Angeklagten die Frage beantworten!«, fährt ihm der Direx mit hochrotem Kopf dazwischen. »Los, raus mit der Sprache, Kleinschmidt! Erleichtern Sie Ihr Gewissen! Diese abscheuliche Tat muss doch tonnenschwer auf Ihnen lasten! Geben Sie es endlich zu!«
    Als er das Wort Gewissen brüllt, treffen mich zwei dicke Spucketropfen knapp über den Augen. Ich wische sie mir demonstrativ gründlich mit dem Ärmel meines T-Shirts ab und lächle den Irren wissend an.
    »Es tut mir sehr leid, Herr Direktor«, sage ich freundlich. »Ich würde Ihnen ja wirklich nur allzu gern helfen, aber ich kann mich partout nicht daran erinnern, wo ich am 18. Mai letzten Jahres war. Ich schätze mal, ich war zu Hause. Wieso wollen Sie das eigentlich wissen?«
    »Das weißt du doch ganz genau, du kleiner, nichtsnutziger Verbrecher!«, schreit der Direx und stürzt über den Tisch auf mich zu.
    Er packt mich an den Schultern und schüttelt mich wie ein Wahnsinniger.
    »Los, gib es zu!«, brüllt er. »Du und deine asozialen Freunde, ihr habt mein Auto brutal verschandelt! Und dafür werdet ihr büßen, das schwör …«
    Weiter kommt er nicht. Töpfer hat von hinten einen Arm um seinen Hals geschlungen und zieht ihn von mir weg.
    »Hey!«, beschwert sich der Direktor. »Sie spinnen wohl! Lassen Sie mich sofort los! Ich bin immer noch Ihr Vorgesetzter! Und ich fordere Gerechtigkeit! Diese Saubande muss endlich zur Rechenschaft gezogen werden!«
    Diese Saubande. Kein schlechter Name für eine Punkband, muss ich mir merken.
    »Sie sollten sich lieber erst mal Gedanken darüber machen, ob Sie für diesen Auftritt hier nicht zur Rechenschaft gezogen werden«, sagt Töpfer und zerrt den Direx in Richtung Tür. »Es würde mich nicht wundern, wenn Herr Kleinschmidt gerade darüber nachdenkt, Sie und die gesamte Schule zu verklagen.«
    Nein, darüber habe ich gerade nicht nachgedacht. Ist aber vielleicht keine schlechte Idee. Die Schule verklagen. In Amerika wird man damit bestimmt mehrfacher Millionär. Aber weswegen verklage ich die Schule? Wegen Irrsinn des Schulleiters? Wirklich getan hat er mir ja nichts. Oder zählt das bisschen Schütteln bereits als schwere Körperverletzung? Vielleicht sollte ich vorsichtshalber ein Schleudertrauma vortäuschen? Komisch, mein Hals fühlt sich auf

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