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Auf die Ohren

Auf die Ohren

Titel: Auf die Ohren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Till
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habe ich jetzt richtig Bock! Travis Barker ist ein absoluter Gott am Schlagzeug, der beste Punk-Schlagzeuger, den es zurzeit gibt. So schnell, so präzise, so verdammt gut will ich auch mal werden – so tätowiert allerdings nicht. Ich meine, nichts gegen Tattoos, ich werde mir mit Sicherheit auch eins stechen lassen, sobald ich achtzehn bin und mich für ein Motiv entschieden habe, aber dann auch wirklich nur eins und nicht den ganzen Oberkörper bis zum Hals voll. Aber egal, er ist schließlich Rockstar und kann machen, was er will. Man muss seinen Idolen ja nicht in allem nacheifern, und in seinem Fall beschränke ich mich da doch lieber auf sein Können als auf seinen Hang zur übermäßigen Körperverzierung.
    Ich drücke auf Play, und What’s my age again? hämmert mir aus den Boxen entgegen. Ich finde den Einstieg sofort und kann das Tempo gut mithalten. An seinen Breaks und Rolls verzweifle ich aber immer wieder, so weit bin ich einfach noch nicht, dafür müsste ich viel mehr üben. Trotzdem macht es einen Höllenspaß und nach einer halben Stunde Blink 182 bin ich nass geschwitzt und meine Arme fühlen sich an wie Pudding.
    Ob es Travis Barker wohl auch so geht? Bei ihm sieht das immer so locker, so absolut unangestrengt aus. Wahrscheinlich muss er gar nicht mehr üben. Das würde mich wirklich mal interessieren, ob richtige Rockstars noch üben müssen. Setzt sich ein Travis Barker noch allein hinters Schlagzeug und macht so etwas, was ich gerade mache? Hören echte Rockstars die Platten von anderen Rockstars? Sind Rockstars noch Fans? Ich meine, nicht von den Bands aus ihrer Jugend, nicht aus der Zeit, bevor sie selbst Rockstars waren, sondern von aktuellen Bands, von Kollegen quasi. Fiebert ein Bela B. wie ein Fanboy der Veröffentlichung der neuen Green-Day -Platte entgegen? Oder was auch immer er gern hört. Geht ein Farin Urlaub noch auf Konzerte und singt lauthals Lieder mit, bis er keine Stimme mehr hat? Irgendwie schwer vorstellbar.
    Also ich werde das alles auf jeden Fall noch machen, wenn ich Rockstar bin – Musik hören, andere Bands vergöttern, auf Konzerten Pogo tanzen. Das ist alles viel zu geil, um es irgendwann nicht mehr zu tun.
    Bis es so weit ist, liegt aber noch ein hartes Stück Arbeit vor mir. Also los, Schweiß abwischen und Arme ausschütteln, weiter geht’s!
    Ich suche die Liste mit unseren Songs heraus und drücke auf Play. Meine eigene Stimme donnert mir entgegen.
    »Eins, zwei … eins, zwei, drei, vier!«
    Rock ’n’ Roll!

8.
    »Bitte treten Sie ein, Herr Kleinschmidt.«
    Oh, fuck. Jetzt ist es also so weit. Verdammt, wo sind bloß die letzten drei Tage geblieben? Eben war es doch noch Samstag, und jetzt stehe ich plötzlich in dieser Tür und kriege gleich jede Menge Fragen gestellt, die über meine nähere Zukunft entscheiden werden.
    Ich meine, klar, ich werde mal Rockstar und ein Rockstar braucht kein Abitur, aber das könnte noch eine Weile dauern. Und bis dahin haben Mama und Papa Rockstar das Sagen, und die legen leider erstaunlich viel Wert auf dieses schulische Bildungszertifikat. Wenn ich das jetzt vermassele, kann ich gleich in den Proberaum ziehen.
    Wieso habe ich nicht auf Clarissa gehört und mehr gelernt? Es war doch noch so viel Zeit. Was habe ich bloß damit angestellt? Am Sonntag wollte ich lernen, das weiß ich noch, da habe ich auch angefangen, aber dann kam ich auf eine Spitzenidee für einen neuen Text, an dem ich dann den ganzen Abend saß. Und gestern war auch irgendwas, keine Ahnung. Es gab eben immer etwas, was wichtiger war als Geschichte. Bis genau jetzt.
    Zwei Punkte. Mehr brauche ich nicht. Weniger wären eine Katastrophe. Hoffentlich fragen sie mich, wie Hitlers Hund hieß – das weiß ich wenigstens noch.
    Ich betrete den Prüfungsraum und schließe die Tür. Hinter einem breiten Pult sitzen drei Lehrer – Töpfer, mein Geschichtslehrer, die Hannemann, eine andere Geschichtslehrerin, und ein Lehrer, den ich nur vom Sehen kenne.
    »Nehmen Sie bitte Platz, Herr Kleinschmidt«, sagt Töpfer und zeigt auf den einsamen Stuhl vor dem Pult.
    Ich setze mich, während sich in meinem Magen ein sehr mulmiges Gefühl breitmacht. Seltsam, sonst war ich bei Prüfungen nie so nervös gewesen. Könnte das eventuell daran liegen, dass dies die hoffentlich letzte und ohne Zweifel wichtigste in meiner Schulkarriere sein wird? Wieso, zum Teufel, wird mir das jetzt erst richtig bewusst?
    »Sie sollten sich auf das Thema Nationalsozialismus und

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