Auf die Ohren
einmal so steif an, Herr Töpfer. Ja, ein Krankenwagen wäre nicht schlecht. Besser gleich zwei. Wie bitte? Ich verstehe Sie kaum, Herr Töpfer. Oje, der Herr Direktor hat offenbar bleibende Schäden in meinen Gehörgängen verursacht. Moment mal, wieso wird denn hier alles plötzlich so dunkel? Herr Töpfer, schalten Sie das Licht wieder an! Was sagen Sie? Das Licht ist an? Oh Gott, jetzt bin ich auch noch blind! Das wird teuer, Herr Töpfer! Ich verklage die Schule auf zwanzig Milliarden, mindestens!
Nein, so etwas würde ich nie machen, das ist mir echt zu billig. Dieser Irre hat mir keinerlei Schaden zugefügt, ich hatte noch nicht einmal Angst vor ihm. Warum also sollte ich ihn oder gar die Schule verklagen? Das bringt doch nichts als zusätzlichen Ärger. Trotzdem bin ich ein bisschen erleichtert, als Töpfer mit ihm im Schwitzkasten aus der Tür verschwindet.
Tja, und nun? Wie geht es jetzt weiter? Was ist mit meiner Prüfung?
Frau Hannemann und der andere Lehrer starren nur peinlich berührt Löcher in die Luft. Als sie meine fragenden Blicke bemerken, rutscht Frau Hannemann nervös auf ihrem Stuhl hin und her und räuspert sich.
»Ich … ich weiß auch nicht, wie in solch einem Fall zu verfahren ist«, sagt sie leise. »Wir warten am besten, bis Herr Töpfer zurückkommt.«
Wir quälen uns noch ungefähr zehn Minuten gegenseitig mit unangenehmem Schweigen, bis es so weit ist. Töpfer betritt den Raum und schließt die Tür hinter sich ab.
»Dieser Irrsinnige hat mich gebissen«, sagt er kopfschüttelnd zu seinen Kollegen. »Ich muss dann gleich unbedingt zum Arzt und mich gegen Tollwut impfen lassen. Aber keine Sorge, ich habe ihn vorsichtshalber in der Lehrertoilette eingeschlossen, wir sollten also vorerst sicher sein.«
Dann wendet er sich an mich: »Herr Kleinschmidt, ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie unangenehm und peinlich mir das alles ist. Aber bevor Sie rechtliche Schritte gegen die Schule erwägen, hören Sie mir bitte erst einmal zu.«
Hatte ich nicht bereits gesagt, dass ich nicht vorhabe, die Schule zu verklagen? Ach nein, das habe ich nur gedacht.
»Selbstverständlich bieten wir Ihnen an, die Prüfung an einem der nächsten Tage komplett zu wiederholen«, beginnt Töpfer. »Es ist Ihnen kaum zuzumuten, die Prüfung nach diesem Vorfall heute noch zu beenden. Und es steht Ihnen natürlich frei, rechtliche Schritte gegen gewisse Einzelpersonen oder diese Institution einzuleiten.«
Hm, das klingt nicht schlecht, dann hätte ich doch noch Zeit zu lernen.
»Die zweite Möglichkeit wäre, dass Sie alles, was hier heute passiert ist, als nicht passiert betrachten und diesen Raum gleich mit einer Benotung Ihrer Wahl verlassen.«
Hm, das wäre natürlich noch viel, viel besser als mehr Zeit zum Lernen.
Töpfer wirft seinen Kollegen einen fragenden Blick zu, beide nicken kaum merklich.
»Also, was sagen Sie, Herr Kleinschmidt?«, fragt Töpfer angespannt.
»Ich sage: Zwei Punkte und auf Wiedersehen«, antworte ich, ohne auch nur einen Moment darüber nachzudenken.
Sicher, ich hätte auch fünfzehn Punkte sagen können, aber dann wäre ich mir erstens wie ein Betrüger vorgekommen und es hätte mir zweitens sowieso niemand abgekauft. Zwei Punkte waren im Bereich des Machbaren gewesen, und somit fühlt es sich nicht ganz so betrügerisch an. Ob Clarissa mir das abnimmt, ist allerdings eine andere Frage. Aber ihr erzähle ich wahrscheinlich sowieso die Wahrheit, wie immer.
»Gut, Herr Kleinschmidt«, sagt Töpfer und steht auf. »Dann gratuliere ich Ihnen zu zwei Punkten und bedanke mich für Ihr Verständnis.«
Er streckt mir seine Hand entgegen, ich erhebe mich vom Stuhl und schüttele sie.
»Vielen Dank«, sage ich artig. »Auf Wiedersehen.«
»Ich bin mir sicher, die zwei Punkte hätten Sie auch so bekommen«, sagt Frau Hannemann und schüttelt mir ebenfalls die Hand zum Abschied.
Echt? Ich mir nicht. Also nichts wie raus hier, bevor sie es sich noch anders überlegen.
Ich verabschiede mich noch einmal höflich von allen, Töpfer schließt mir die Tür auf und ich verlasse den Raum.
Als ich um die nächste Ecke gebogen bin, lehne ich mich erst mal mit dem Rücken an die Wand und atme tief durch. Meine Fresse – was für eine abgefahrene Prüfung! Aber ich habe es hinter mir. Es ist geschafft. Ich bin durch. Jetzt kann nichts mehr passieren. Mein Abi ist luftdicht verpackt und eingetütet. Ich bin ab sofort quasi kein Schüler mehr. Und was das vor allem anderen bedeutet, ist
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