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Auf doppelter Spur

Auf doppelter Spur

Titel: Auf doppelter Spur
Autoren: Agatha Christie
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Anscheinend wird etwa zehn Minuten vor zwei ein Schreibbüro angerufen, eine Miss Millicent Pebmarsh engagiert die Stenotypistin Miss Sheila Webb für drei Uhr. Miss Webb kommt kurz vor drei in Wilbraham Crescent Nr. 19 an, geht weisungsgemäß in das Wohnzimmer, findet einen toten Mann auf dem Boden und rennt schreiend aus dem Haus – in die Arme eines jungen Mannes.«
    »Auftritt des jugendlichen Helden«, sagte ich mit leichter Verbeugung.
    »Sehen Sie, nicht einmal Sie können umhin, einen melodramatischen Ton anzuschlagen, wenn Sie davon sprechen. Die ganze Sache ist melodramatisch, fantastisch und völlig irreal – sie könnte bei Autoren wie Garry Gregson vorkommen. Ich darf vielleicht erwähnen, dass ich mich gerade mit den Kriminalautoren der letzten sechzig Jahre befasste, als mein junger Freund zu mir kam. Ich sah bereits das tatsächliche Verbrechen durch die Brille des Kriminalromans. Das heißt, wenn ich merke, dass ein Hund nicht gebellt hat, wenn er sollte, sage ich mir: ›Ha! Ein Sherlock-Holmes-Verbrechen‹ Und wenn eine Leiche in einem verschlossenen Raum gefunden wird, weiß ich sofort: ›Ha! Ein Dickson-Carr-Fall!‹ Wenn ich feststellen sollte, dass… doch genug jetzt. Verstehen Sie, was ich meine? Die Umstände des Verbrechens sind so unwahrscheinlich, dass man sofort spürt: ›Die Handlung ist nicht aus dem Leben gegriffen. Das alles ist ganz irreal.‹ Aber unser Fall hier ist wirklich pa s siert. Das regt einen zu intensivem Denken an, nicht wahr?«
    Hardcastle hätte es anders ausgedrückt, aber er hatte sich die gleiche Meinung über den Fall gebildet und nickte. Poirot fuhr fort:
    »Es ist genau das Gegenteil von Chestertons Pointe: Wo würde man ein Blatt verstecken? Im Wald. Einen Kieselstein? Am Strand. Wenn ich mich also im Sinne Chestertons fragen würde: ›Wo verbirgt eine Frau mittleren Alters ihre Falten?‹ müsste die Antwort lauten: ›Sie umgibt sich mit Frauen ihres Alters.‹ Natürlich tut sie das nicht. Sie verbirgt ihre Falten unter Make-up, Rouge und Lidschatten, sie umgibt sich mit schönen Pelzen und Juwelen. Verstehen Sie? Dann werden nämlich die Leute zuerst auf die Pelze und Juwelen und die Frisur aufmerksam, auf die Fassade sozusagen. Deshalb bemerkte ich zu meinem Freund Colin: Da der Mord so viele fantastische Details als Ablenkungsmanöver aufweist, muss er sich in Wirklichkeit sehr einfach abgespielt haben.«
    »Das behaupten Sie zwar«, wandte ich ein, »aber ich kann noch immer nicht sehen, dass Sie Recht haben.«
    »Da müssen Sie noch etwas warten. Wenn wir also die fantastischen Details außer Acht lassen und nur das Wesentliche betrachten, stoßen wir auf einen Mann, der getötet worden ist. Warum? Wer ist er? Die Antwort auf die erste Frage hängt offensichtlich von der Antwort auf die zweite Frage ab. Ehe man nicht die Antworten auf diese beiden Fragen hat, kommt man nicht weiter. Er könnte ein Erpresser gewesen sein, ein Betrüger, alles mögliche. Als immer mehr Leute darin übereinstimmten, dass der Tote eigentlich wie ein völlig durchschnittlicher, wohlhabender älterer Herr aussah, brachte mich das plötzlich darauf, diesen Mann das sein zu lassen, was er zu sein schien: ein wohlhabender, achtbarer älterer Herr, der jemandem im Weg gewesen war. Wem? Hier können wir das Feld etwas einengen: Jemand muss mit den Gewohnheiten von Miss Pebmarsh vertraut gewesen sein, das Cavendish-Schreibbüro kennen und wissen, dass Sheila Webb dort arbeitet. Deshalb riet ich meinem Freund Colin, sich mit den Nachbarn zu unterhalten. Und dabei fiel ein Satz von unschätzbarem Wert.«
    »Welcher?«, fragte ich. »Wer sagte ihn? – Wann?«
    »Alles zu seiner Zeit, mon cher. Wenn man um Nr. 19 herum einen Kreis zieht, könnte jeder innerhalb dieses Kreises Mr Curry getötet haben. Wichtiger aber noch sind die Personen, die am Tatort gewesen waren. Miss Pebmarsh hätte ihn töten können, ehe sie um 13.35 Uhr das Haus verließ; auch Miss Webb hätte verabreden können, sich dort mit ihm zu treffen, um ihn zu töten, ehe sie schreiend aus dem Haus lief… Und natürlich Sie, mein lieber Colin. Auch Sie waren am Tatort – suchten eine Hausnummer dort, wo sie gar nicht hingehörte.«
    »Ich muss schon sagen«, protestierte ich empört, »was werden Sie noch alles behaupten?«
    »Die Wahrheit ist unbestechlich«, erklärte Poirot großspurig.
    »Und dabei war ich es, der Ihnen die ganze Sache auf dem Tablett präsentierte!«
    »Mörder sind oft eingebildet –
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