Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)
Narzissten
Christian nutzte seine besonderen Fähigkeiten schon in der Schulzeit, um sein Selbstwertgefühl damit zu »stützen«. Dadurch schaffte er es mit der Zeit besser, Hänseleien wegen seiner Legasthenie zu ertragen. Wenn Menschen in ihrer Kindheit zunächst den Eindruck haben, sie seien schlechter als andere, also »minderwertig«, dann schlägt das mit der Zeit manchmal ins Gegenteil um. Entdecken sie, dass sie etwas besonders gut können, dann müssen einige von ihnen sich selbst immer wieder darin beweisen. Nur wenn ihnen dies gelingt, fühlen sie sich nicht mehr minderwertig.
Das Ergebnis ist, was Psychologen und Psychiater eine »Narzisstische Persönlichkeitsstörung« nennen. Zwar sind die meisten Narzissten keine Psychopathen, doch drei viertel aller Psychopathen haben auch eine narzisstische Persönlichkeit. Diese Psychopathen kann man als »ausgebaute Version« von »normalen« Narzissten ansehen. Einige Psychopathie-Bausteine beschreiben Eigenschaften, die auch für Narzissten typisch sind. Dass sie sich – zumindest die meiste Zeit – übertrieben großartig wahrnehmen und auch so darstellen, dass sie hauptsächlich an ihre eigenen Interessen denken, dass sie andere Menschen ausnutzen, ohne sich schlecht zu fühlen, haben Narzissten und die meisten Psychopathen gemeinsam.
Viele Menschen glauben, Narzissten würden sich für außergewöhnlich toll halten und hätten bei sich nie Schwächen gesehen. In Wirklichkeit haben alle Narzissten als Kinder irgendwann das Gefühl gehabt, minderwertig, unwichtig und nicht liebenswert zu sein. Wenn sie es schaffen, in irgendwelchen Bereichen besonders gut zu sein, dann fühlen sie sich kurzzeitig besser, dann können sie ein Bild von sich aufbauen, in dem sie wertvoller als andere Menschen sind.
Haben sie dies erst einmal geschafft, fühlen sie sich damit sehr wohl. Daraus leiten sie auch ab, dass andere Menschen sie bewundern sollten und dass sie sich, im Gegensatz zu diesen, nicht an Regeln halten müssen. Solange sie bewundert werden und Erfolg haben, fühlen sich Narzissten übermächtig und richtig gut. Doch sie brauchen immer wieder immer neue Erfolgserlebnisse. Bleiben diese aus, beginnen sie an sich zu zweifeln und sich so minderwertig wie in ihrer Kindheit zu fühlen. Das können sie nicht ertragen, deshalb suchen sie sofort den nächsten Erfolg – koste es, was es wolle.
Vorsicht: Das narzisstische Imperium schlägt zurück!
Haben Narzissten keine neuen Erfolge vorzuweisen oder – schlimmer – machen sie Fehler, scheitern oder werden kritisiert, dann fühlen sie sich schnell wieder wie ein »kleiner Wurm«. Deshalb tun Narzissten wirklich alles dafür – teils ohne Rücksicht auf ihre Mitmenschen –, um sich immer wieder neue Erfolgserlebnisse zu verschaffen. Sie können nie genug Lob und Anerkennung bekommen. Außerdem schlagen sie – körperlich, mit Worten oder Intrigen – erbittert zurück, wenn jemand sie kritisiert. Einer meiner Ausbilder, der Psychologe und Experte für Persönlichkeitsstörungen Professor Rainer Sachse, beschreibt diese Eigenschaft in Anlehnung an die »Star Wars«-Reihe mit den Worten »Das Imperium schlägt zurück.«
Christian hat eine typisch narzisstische Persönlichkeit: Er glaubt anderen Menschen in vielen Bereichen überlegen zu sein. Wenn er sich gekränkt fühlt, kann er sein Gegenüber mit gezielten Worten verletzen oder zumindest verunsichern. Aus seiner Kindheit weiß er, wie verwundbar man durch die eigenen Schwächen wird. Deshalb kann er dies inzwischen auch sehr gut gegen andere verwenden: »Nichts ist verletzender als eine Wahrheit, die man nicht hören will.«
Kontrollverlust um jeden Preis verhindern
Ebenso wie Alexander hat auch Christian einige Erfahrung im Kampfsport. Er erlernte über mehrere Jahre sogar mehrere unterschiedliche Kampfsporttechniken. Dass beide dieses Hobby betreiben, hat auch damit zu tun, dass es ein gewisses »Machtgefühl« mit sich bringt. Gleichzeitig ist es ein Mittel, um sich effektiv gegen Angriffe zu wehren und auch in brenzligen Situationen die Kontrolle zu behalten.
Christian lässt auf keinen Fall zu, dass jemand Macht über ihn hat. Gewinnt er den Eindruck, jemand wolle ihn auch nur im Entferntesten unter Druck setzen, reagiert er darauf schnell »allergisch«. Umgekehrt macht es ihm sehr viel Spaß, andere Menschen dazu zu bringen zu tun, was er will. Dominant zu sein und Kontrolle auszuüben, ist für psychopathische Menschen sehr typisch.
Diese
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