Auf Dunklen Schwingen Drachen1
heraus und ging auf sie zu. Meine Kehle war zu trocken, zu eng. Es fiel mir schwer, zu atmen. Die Luft war wie mit Nadeln gespickt. Und mir verschwamm alles vor den Augen.
Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich mich Gelbgesicht vor die Füße warf.
»Zwingt mich nicht dazu, bitte, zwingt mich nicht«, flehte ich, als könnte ich durch dieses Betteln das Verlangen ersticken, das ich noch vor wenigen Momenten nach den Drachen empfunden hatte. Was ich fühlte, war falsch; wenn ich mich nur heftig genug gegen die Leidenschaft wehrte, würde sie schon verschwinden. Ich würde wieder normal werden, unbefleckt durch diese bestialische Lust. »Ich will das nicht, was du mit Lutche getan hast …«
Gelbgesicht schlug meine klammernden Hände von ihrer Tunika. »Dummes Geschöpf. Niemand zwingt dich zu nichts. Und jetzt steh auf!«
Ich erhob mich, konnte aber ihrem Blick nicht begegnen. Stattdessen schlang ich meine Arme um meine Schultern und wiegte mich hin und her.
»Wenn der Tempel das herausfindet«, würgte ich hervor.
Eine rasche Bewegung, wie ein Blitz, eine Hand packte mein Haar und riss meinen Kopf zurück. Ich starrte in Nnp-trns wilde, blutunterlaufene, gruselig starre Augen. »Niemand wird das herausfinden, kapiert. Niemand!«
»Beruhige dich«, sagte Boj-est und erhob sich mühsam.
Ich spie Nnp-trn ins Gesicht. Was mich sofort maßlos erschreckte. Nnp-trn verpasste mir eine schallende Ohrfeige. Ich stolperte zurück und straffte mich sofort. Meine Furcht verwandelte sich in kochende Wut. Ich schlug zurück.
Nicht mit der offenen Hand, oh nein. Ich hämmerte meine Faust auf ihre Nase, so wie ich es vor Jahren in der Karawane des Händlers gelernt hatte. Knorpel knirschten. Blut lief ihr über die Lippen, das Kinn hinunter, wurde vom Kragen ihrer Tunika aufgesogen.
»Zar-shi!«, schrie Boj-est. »Hör sofort auf!«
Aber das konnte ich nicht. Eine Wut kochte in mir, die ich seit dem Tod meiner Mutter vor sechs Jahren nicht mehr verspürt hatte, verwandelte meinen Verstand in einen tosenden Taifun. Ich warf mich auf Nnp-trn, schlug sie, zog sie an den Haaren, biss sie. Sie stolperte unter dem Angriff zurück und wehrte sich. Sie war mehr als doppelt so alt wie ich, eine breitschultrige, grobknochige Frau; ich dagegen war drahtig und klein. Nach wenigen Momenten konnte ich nichts mehr sehen, weil das Blut mir in den Augen brannte.
Die anderen zogen uns auseinander. Kiz-dan trat zwischen uns; natürlich würden wir sie nicht schlagen. Nnp-trn spie Blut aus.
»Ihr seid krank, ihr alle!«, kreischte ich und meinte mich selbst auch, weil mich das, was ich gesehen hatte, erregt hatte.
»Verderbte Huren!«
»Halts Maul, Zar-shi!«, befahl Kiz-dan.
»Halt du das Maul! Ausgeburt!«
»Hüte deine Zunge!«, warnte mich Gelbgesicht.
»Von wegen!« Meine Wut richtete sich auf sie, wurde glühender. »Du hast mich verstümmelt, mir meinen Namen genommen, und jetzt soll ich mich wie eine Made winden, während ein Drache mich mit seiner Zunge vergewaltigt? Warum bringst du mich nicht einfach um, dann haben wir es hinter uns?«
Als ich das sagte, wurde mir klar, dass ich dieselben Worte meiner Mutter an den Kopf geworfen hatte, damals, an dem Steinhügel des Konvents an der Straße. Warum bringst du mich nicht einfach um, dann haben wir es hinter uns? Ich brach in Tränen aus.
»Ich wusste nicht, dass sie so reagieren würde«, murmelte Kiz-dan.
»Natürlich musste sie so reagieren, sie ist noch ein Kind«, sagte unsere Älteste. »Geht bitte, ihr alle, und kniet euch vor Lutche. Der Morgen graut. Die Erste Anbetung fängt bald an. Ich rede mit Zar-shi.«
Alle bis auf Gelbgesicht verschwanden in dem grauen Dämmer der Rotunde. Ich weinte wütend, unfähig, meinen Tränen Einhalt zu gebieten.
Nach einigen Augenblicken trat Gelbgesicht zu Boj-est und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Unsere Älteste runzelte die Stirn, lauschte und betrachtete mich.
Dann nickte sie brüsk.
Und ging ebenfalls. Ich blieb allein mit Gelbgesicht zurück.
Sie packte mich an den Schultern. Ich befreite mich aus ihrem verhassten Griff.
»Du hast alles Recht der Welt, angewidert und wütend zu sein«, sagte sie. »Was wir hier tun, ist falsch, das kann niemand abstreiten. Aber ich kann mich nicht für das entschuldigen, was du gesehen hast. Ich kann es nicht und werde es auch nicht tun. Ich schäme mich auch weder für das, was ich mit dem Kuneus tue, noch habe ich vor, damit aufzuhören. Aber du musst es verstehen, vollkommen
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