Auf Dunklen Schwingen Drachen1
in Deckung. Und sei still!«
Ich sah unter dem Karren hindurch nur Kiz-dans Hacken, aber sie wackelte mit ihnen. Sie hatte mich verstanden.
Dann sah ich zu dem Drachenjünger hinüber, der die unausgepackten Waren verfluchte. »Wenn er kommt, lauf weg«, fuhr ich fort. »Er ist zu betrunken, um dich zu jagen. Aber lauf nicht zu weit, sonst finde ich dich nicht mehr.«
»Komm schon«, sagte der Akolyt zu mir. Ich hob hastig die Urne auf und folgte ihm.
Wir stolperten die acht Etagen des Amphitheaters hinab. Ich blickte mich um, als wir das Erdgeschoss erreichten. Der betrunkene Drachenjünger brüllte noch immer die Kisten an. Ich redete mir ein, dass er Kiz-dan, die auf der anderen Seite des Karrens kauerte, noch nicht gesehen hatte. Sie war in Sicherheit, solange er seinen Zorn auf die Kisten richtete.
Ich verlagerte das Gewicht der Urne und folgte dem Akolyten durch einen Torbogen und eine kurze Treppe hinab, die von einer einzigen qualmenden Kerze beleuchtet wurde, die in einer Wachspfütze auf einer Stufe in der Mitte brannte, und in einen dunklen, unterirdischen Lagerraum.
Das Erste, was mir auffiel, war der Gestank nach verbranntem Holz, als würden wir an einem Ort stehen, der vor Jahren von einem Brand verwüstet worden war.
»Ich kann nichts sehen.« Ich blinzelte in der beißenden Dunkelheit, und an dem Hall meiner Stimme merkte ich, dass dieser Raum weder groß noch leer war.
»Stell die Urne hier ab«, sagte der Akolyt, und ich hörte, wie er seine Last absetzte.
Ich schlurfte blindlings auf seine Stimme zu. Mit der Hüfte prallte ich gegen etwas Hartes. Gegenstände polterten zu Boden. Sie klapperten wie Bambus.
Der Akolyt fluchte. »Beweg dich nicht. Wenn du auf eine trittst, bringt er dich um.«
Ich erstarrte. Hals und Schultern brannten von dem Gewicht der Urne in meinen Armen.
»Warte hier.« Der Akolyt schob sich an mir vorbei. Er roch nach männlichem Schweiß. Nach Tieron war dieser stechende Duft merkwürdig, beängstigend und gleichzeitig in seiner Intensität verlockend. Der Mann kehrte einen Moment später mit einer Kerze zurück, welche er an der auf der Treppe angezündet hatte.
Blinzelnd sah ich mich in der Kammer um.
Überall lagen Schriftrollen herum. Einige waren sorgfältig in Bambusrohren verstaut, andere waren dem Staub und der Luft ausgesetzt. Sie bedeckten Kisten, Urnen, waren auf zwei Hängematten verteilt, die von der niedrigen Decke baumelten. Sie lagen auf einem Stuhl, einem Tisch, sogar auf einem dicken, eisernen Ofen, der kein Rohr hatte. Mir war klar, dass dies die Quelle des Gestanks war, der Ofen. Er hielt, auch wenn zurzeit kein Feuer in ihm brannte, die Schriftrollen relativ trocken, auch wenn er wegen seines fehlenden Rohres den Rauch in dem Raum verteilte.
In einem alten Schrank waren noch mehr Schriftrollen, fein säuberlich eingeordnet. Eine unheimliche Clackron-Maske grinste mich oben vom Schrank aus an. Aus ihren grellroten Lippen ragte ein weiteres Bambusrohr mit einer Schriftrolle hervor.
»Stell die Urne dahin und sammle die Schriftrollen auf. Leg sie wieder auf den Tisch, und beeil dich, falls er herunterkommt.«
Mit diesen Worten schob sich der Akolyt an mir vorbei und verließ die Kammer.
Ich stellte die Urne an die Stelle, die er mir gezeigt hatte. Meine Rückenmuskeln waren so angespannt, dass ich mich kaum aufrichten konnte. Vornübergebeugt stolperte ich zu dem Tisch, kniete mich umständlich hin und hob die Schriftrollen und Bambusrohre auf.
Eine rissige und vergilbte Rolle lag flach auf dem Tisch. Sie sah aus, als wäre sie schon seit vielen Jahren nicht mehr zusammengerollt worden, als würde sie zerkrümeln, wenn man es versuchte. Allein ihr Alter gebot Ehrfurcht und weckte Neugier. Ich nahm das spröde Papier vorsichtig hoch. Ich konnte nicht anders.
Wunderschöne Schriftzeichen überzogen diese Rolle, sie waren nicht mehr schwarz, sondern braun gebleicht und erstreckten sich in vollkommen geraden Reihen über das Papier. Elegante Sesalblüten-Motive teilten die Rolle in Abschnitte auf. Die kursiven Zeichen erinnerten mich an Nae-ser, wie sie mit mir neben der Mühle gehockt und mit Zweigen im Staub geschrieben hatte. Gram überkam mich, und ich wischte mir die Tränen aus den Augen, bevor sie auf das spröde Papier fallen und die Tinte verwischen konnten.
Schwere Atemzüge und mühsame Schritte näherten sich über die kurze Treppe hinter mir, und ich legte das Papier hastig wieder auf den Tisch zurück. Ich wusste, dass ich es
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