Auf Dunklen Schwingen Drachen1
hinter ihm. Ich sage, sie sa-ßen , obschon sie eigentlich vornübergebeugt auf dem Drachen lagen, sodass der Gefährte Kratt fast von hinten zu umarmen schien.
Wie wollten sie sich mit dem Jährling in die Luft erheben, wo unser Hof dem Drachen doch gar keinen Platz für einen Anlauf bot?
Natürlich, indem sie ihn schlugen.
Mit einer Bambuspeitsche, die wie ein Donnerschlag knallte, prügelte Kratt auf den Hals des Jährlings ein. Der schlug mit seinen gewaltigen Schwingen, peitschte mit dem Schweif, bäumte sich auf und ließ seine Vordergliedmaßen mit den scharfen Krallen durch die Luft sausen, die so dick wie mein Unterarm waren und glänzten wie neuer Stahl. Staub wirbelte auf, rot und sandig. Der Jährling trompetete. Kratt schlug erneut zu, während er die Zügel fest anzog und den Kopf des Drachen nach hinten zerrte. Die großen, mit Klauen bestückten Schwingen wirbelten einen richtigen Sandsturm auf. Ich kniff die Augen zusammen, hielt den Atem an und klammerte mich fest an den Türrahmen, während mir mein Bitoo um den Leib schlug.
Und dann … gab Kratt den Kopf des Drachen frei, das Biest sprang mit einem gewaltigen Satz in die Luft und … flog.
Es schien völlig unmöglich, ein Wunder, eine Geschicklichkeit, die nur ein Dämon besitzen konnte, wie Kratt den Drachen von einem so kleinen Flecken aus hatte in die Luft bringen können. Mittlerweile weiß ich, dass die Jährlinge der Kriegerfürsten brutal ausgebildet werden, damit sie genau das im Kampf tun können. Damals jedoch, mit neun Jahren, war ich noch unbeleckt von diesem Wissen. Und konnte nur fasziniert darüber staunen, dass man solch ein Tier fliegen konnte.
Und natürlich darüber, dass der Erstgeborene Sohn unseres Kriegerfürsten gekommen war, um meine Schwester in Augenschein zu nehmen, und das auf dem bescheidenen Hof unseres Clans.
4
N achdem wir uns gründlich gewaschen hatten, brachen wir
Töpfer zum Tempel unserer Zone auf. Die Männer trugen Bambusdosen mit den noch warmen Heiligen Kuchen, die Frauen Urnen mit gegorenen Chilis.
Natürlich redeten wir unablässig von dem unverständlichen Besuch von Roshu-Lupini Res Erstgeborenem Sohn auf unserem Hof. Welche Ehre! Was für eine Auszeichnung! Der Ruhm! Alle betrachteten meine Schwester jetzt mit anderen Augen, wenngleich auch nicht immer wohlgesonnen; ihr Verhalten war verwerflich gewesen! Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Mutter tadelte sie so laut, dass wir alle es hören konnten.
»Was fällt dir ein, Waikar Re Kratt einfach so den Rücken zu kehren? Was soll das Gutes bewirken, heho?«
»Ich weiß, was ich tue, Mutter«, erwiderte Waisi kühl. »Ich habe schließlich auch beim ersten Mal seine Aufmerksamkeit erregt, oder etwa nicht?«
»Aber Waivia, diese Gelegenheit …«
Waisis Blick brachte Mutter zum Schweigen. Trotzdem wussten wir alle, was Mutter hatte sagen wollen.
Obwohl Waikar Re Kratt meine Schwester aus unserem Clan holen und sie zu seiner Ebani machen konnte, ohne unseren Clan auch nur im Geringsten dafür zu entschädigen, würde allein schon der Ruhm, den der Danku , unser Töpferclan, dadurch erlangte, unseren Status unermesslich heben. Der Tempel würde uns bei Geschäften bevorzugen, rivalisierende Clans würden sich uns unterordnen, unseren Rat suchen, mehr für unsere Waren bezahlen. Die Männer unserer gesamten Brutstätte würden unsere jungen Frauen für besonders begehrenswert erachten. Wenn wir eine Clanfrau im Haushalt des Roshu-Lupini hatten, würde uns das ohne Ende Wertschätzung einbringen, ganz sicher.
Würde Waisi jedoch als Kiyu erwählt, um in den Kiyu-Schuppen des Kriegerfürsten zu dienen, war sie nur ein weiteres Mädchen, das zu sexueller Sklaverei verurteilt war und das man getrost vergessen konnte.
Waisi schien sich jedoch von dieser letzteren Möglichkeit nicht im Geringsten beunruhigen zu lassen. Sie schritt mit hoch erhobenem Kopf und trotzig vorgestrecktem Kinn daher. Ich empfand nur Ehrfurcht für sie. Und mir war klar, dass sich bereits die Kunde vom Besuch Waikar Re Kratts wie ein Lauffeuer durch unsere Sor verbreitete.
Jede Brutstätte ist in Handelszonen unterteilt, sogenannten Sors. Jede Sor umfasst einen Tempel und einen Marktplatz, um den sich die verschiedenen Clanhöfe scharen. So auch in Brut Re. Der Töpferclan lag in der Zone des Kostbaren Tands, oder, in der Sprache des Imperators, in Wabe Din Sor. Die Waren, die in unserer Zone hergestellt wurden, betrachteten alle anderen Clans in Brutstätte Re als
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