Auf Dunklen Schwingen Drachen1
Erwählte Frau nicht hatte gebären können.
Sechzehn Jahre später hatte meine Schwester geschworen, von eben diesem Ersten Sohn als Ebani erwählt zu werden, und ich hatte Waivia missverstanden, hatte gedacht, sie wollte eine Kiyu werden, eine Sex-Sklavin. Sie hatte sich über mich lustig gemacht, mich dumm geschimpft, weil ich glaubte, ein solch erniedrigendes Schicksal könnte ihr widerfahren …
Nun standen wir hier, Mutter und ich, und sie versuchte, Waivia aus eben diesem Schicksal zu erlösen.
Langsam, mit der Haltung einer Tänzerin, ließ Mutter die Arme an ihre Seiten sinken. Alle Blicke waren jetzt auf sie gerichtet, oh ja.
»Ich warte auf die Schwingen, welche die Herde Res segnen!« Mutters Stimme klang so beeindruckend, dass ich ihre Hoffnung nicht missachtet hätte, wäre ich der Bulle der Brutstätte gewesen, und sofort ein Ei mit einem männlichen Samen befruchtet hätte.
Die ältere Glasspinnerin, die meine Mutter angesprochen hatte, stand einige Herzschläge lang reglos vor ihr, bevor sie sich schließlich räusperte und krächzend erwiderte: »Möge dein Warten ein Ende haben. Mögen die Schwingen schlüpfen …«
»Bitte erweist mir die Ehre, dieses wertlose Unterpfand anzunehmen, im Namen Eures Gebieters, des ehrwürdigen Großvaters des Korikapku « , fuhr Mutter dröhnend fort. Ich weiß nicht, wie sie erraten hatte, dass diese ältere Frau das erwählte Weib des Clan-Großvaters war, aber ich hegte keinen Zweifel daran, dass es stimmte.
Ich glotzte wie die anderen, als Mutter eine der wunderschönen Halsketten über ihren Kopf hob und sie der alten Frau hinhielt. Es war diejenige, die in Rot und Grün schillerte und tatsächlich so aussah wie eine kostbare Kette aus exotisch geformten Bullenschuppen, unterbrochen von dunklen Amethysten und Beryllen.
Die Hände der Alten zitterten, als sie den Schatz entgegennahm.
»Und«, fuhr Mutter fort, »ich bitte Euch weiterhin, diese unwürdige Bagatelle für all die Frauen der Glasspinner anzunehmen, die in den letzten Monaten unter der Anwesenheit einer gewissen unreinen Frau gelitten haben.«
Mutter hob die nächste Halskette über ihren Kopf, eine blaue, in welche gekräuselte Fühler aus Gold eingearbeitet waren. Ich konnte kaum einen Aufschrei unterdrücken. Sie hatte nur noch eine Kette übrig, einen Halsreif mit wundervollen opalartigen Skops .
»Schließlich«, fuhr Mutter mit ihrer beeindruckenden Stimme fort, »möchte ich Euch auch noch diesen armseligen Tand aufdrängen, als Dank dafür, dass Ihr mich heute angehört habt.«
Als sie den Halsreif über den Kopf hob, hörte man, wie die Frauen kollektiv die Luft einsogen. Das frühe Morgenlicht fiel auf den Reif, und die emaillierten Spiralen sahen fast lebendig aus, wie weiße Flammenzungen, in denen gold-blaue Venen und Wolken von cremigem Rosa glitzerten.
»Jetzt«, sagte Mutter und richtete sich zu voller Größe auf – in diesem Moment schien sie drei Meter groß zu sein -, »bringt mir bitte die Ebani , die hier gehalten wird!« Sie deutete mit einer geringschätzigen Handbewegung auf den Paarungsstall. »Ich werde den Müll mit mir nehmen.«
Die Alte starrte Mutter an; ihre dicken, runzligen Hände troffen förmlich von Schmuck.
»Vergebt mir meine Unverschämtheit«, Mutter senkte ein wenig den Kopf, »ich sollte Euch nicht bitten, Euch dem Quartier einer so gewöhnlichen Frau wie ihr zu nähern. Ich werde sie selbst holen.«
Ein Bann schwebte über uns, ein Nebelschleier, so funkelnd und rosa wie die opalartigen Skops , die Mutter eben in das Feuer des Morgenrots gehalten hatte. Aber es war die Zeit der Nässe. Sie hatte sich von einer Macht genährt, die noch nicht in ihrer Blüte war, denn die Sonne, die über dem Spiralkamm-Massiv hing, war schläfrig und diffus. Deshalb waberte der Bann wie Sonnenlicht, das man tief unten unter Wasser sieht.
Als Mutter sich umdrehte, während ihre Hände bereits nach dem Kind griffen, das sie einst gestillt hatte, einem Kind, das jetzt unter entwürdigenden Umständen im Sex-Schuppen eines rivalisierenden Clans gefangen gehalten wurde, bewegte sich jemand in der Menge.
Mein Blick zuckte zu der Frau, die sich bewegt hatte, glitt über verschwommene Gesichter wie eine Brenngabel über trockenen Lehm. Ich erkannte das Weib sofort an der Pfeife in ihrem Maul und der Grausamkeit in ihrem Blick. Und ich erinnerte mich an die Worte, die sie so hämisch ausgesprochen hatte, als wir Waivia das letzte Mal besuchten. Ein reifes K iyu
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