Auf Dunklen Schwingen Drachen1
nahm mir Mutter das schmutzige Bündel ab, das sie ausgegraben hatte, und wickelte es auf.
Erst dann zog sie sich wieder an, rasch, weil der Morgen graute und hier und da die ersten Vögel im Dschungel sangen, und wir verließen hastig unseren Hof.
Mutter trug die Halsketten und Armbänder. Ich die schlangenförmig gearbeiteten Oberarmreifen, die sie aus den dicken Skop - Stängeln gearbeitet hatte, die sie vor dem Tauchbad im Urin mit einem Messer eingeritzt hatte. Einige dieser Armreifen schimmerten in einem glänzenden Rot, das so dunkel war wie Blut. Andere in einem dunklen metallischen Grün mit rosinenroten Flecken, den Farben der Schuppen eines Drachenbullen. Einige wenige Armreifen schimmerten in einem milchigen, bläulichen Rosa, wie feine Opale. Ich weiß nicht, wie Mutter diese Glasuren geschaffen hatte. Sie wirkten unirdisch.
Wir erreichten den Hof der Glasspinner, als die Frauen des Korikapku mit ihrer morgendlichen Arbeit begannen.
Der Hof hatte sich verändert. Es schien, als hätte die Zeit der Nässe den Boden nie berührt. Er war glatt und trocken, und das dreistöckige Dach, das ihn schützte, war eindeutig nicht provisorisch. Dieses gewölbte, schöne Dach mit den teuren, behauenen Pfosten und Stützen war dauerhaft errichtet, spendete zukünftigen Generationen in der Zeit des Feuers Schatten und Unterschlupf in der Zeit der Nässe.
Die Paarungshütte gab es nicht mehr. Statt des bescheidenen Gebäudes, das wir bei unserem letzten Besuch gesehen hatten, erhob sich dort ein Gebäude von der Größe unseres Frauenhauses. Es stand auf Pfosten, also vermutete ich, dass es sich um die Paarungshütte handelte. Angestrichen war es in grellem Rot und Grün, und in die Wände waren Reliefs mit lüsternen Figuren geschnitzt.
Die bunten Farben und die Größe des Gebäudes verrieten, dass hier keine liebevollen Vereinigungen in diskreten Verschlägen stattfanden, sondern wilde, ausschweifende Gelage veranstaltet wurden.
Gewiss, die Paarungshütte auf unserem Hof wies ebenfalls einen Raum auf, der groß genug war, damit die Männer dort ihre Orgien feiern konnten, aber dieser Raum war bescheiden und wurde nur für einige wenige, ausgewählte Riten der Männer benutzt. Die Paarungshütte der Glasspinner jedoch sah aus wie … wie …
… wie ein Stall. Ein Stall, in dem Sex-Sklavinnen rücksichtslos missbraucht wurden, um niedere Unterhaltung zu bieten, die wenig mit sanften Vereinigungen oder den Riten unserer Männer zu tun hatten.
Ich sah Mutter an, die offenbar dasselbe dachte. Sie starrte das Gebäude an, und alle Farbe wich aus ihrem Gesicht.
Dann riss sie sich zusammen, hob ihr Kinn, straffte sich stolz, wenngleich nicht hochmütig, höflich, aber nicht demütig. Als sie durch den Hof der Glasspinner zu deren Frauenhaus schritt, hielten die Frauen des Korikapku in ihrer Arbeit inne und glotzten sie an. Ich huschte hinter ihr her und wäre fast gegen sie gestoßen, als sie abrupt stehen blieb. Ihr Blick fiel auf eine Frau, die so alt war wie unsere Kropfmutter; die beiden Frauen sahen sich an, und Mutter näherte sich der Alten.
Sie blieb eine Armlänge vor ihr stehen. Verbeugte sich langsam und tief. Richtete sich wieder auf.
Dann warf Mutter ihre Arme hoch über ihren Kopf, und die ältere Frau wich zurück wie ein scheuender Jährling. Einige umstehende Frauen keuchten vor Schreck.
Aber Mutter schlug die Alte nicht, oh nein. Stattdessen spreizte sie ihre Finger zu einem eleganten, unbeweglichen Fächer, während sie die Arme unverwandt über dem Kopf hielt, die Ellbogen graziös zur Seite abgewinkelt. Ich brauchte einen Moment, bis mir klar wurde, was sie tat.
Sie bot einen berühmten Gruß dar, Bullenfühler-in-voller-Pracht.
Es war ein respektvoller und ehrfürchtiger Gruß, der so selten verwendet wurde, dass er eine zweifelhafte Färbung angenommen hatte. Ich hatte ihn zuvor noch nie gesehen, nur gehört, wie man ihn vollführte, von der Ersten Erwählten Frau unseres Kriegerfürsten. Sie hatte diesen uralten, mächtigen Unterwerfungsgruß während der Krönung der Lieblings-Ebani unseres Kriegerfürsten dargeboten, und zwar eben vor der Ebani , die sie, wie alle wussten, hasste. Zwar hatte sie keine große Wahl gehabt, als irgendwie ihre Unterwerfung zu signalisieren, aber in welcher Form sie das tun würde, war ausschließlich ihr überlassen. Fünf Monate später hatte die Ebani dem blonden, blauäugigen Ersten Sohn des Kriegerfürsten das Leben geschenkt, dem Kind, das die Erste
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