Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auf ein prima Klimakterium

Auf ein prima Klimakterium

Titel: Auf ein prima Klimakterium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marianne Saegebrecht
Vom Netzwerk:
Rocco und die beiden Geschwister John und Babe in den Armen. Für einige Stunden verzog ich mich in eine Hamburger-Bude und ließ die Familienmitglieder alleine. Jetzt ist es raus, sie hat’s gesagt. Mit dieser Wahrheit kann Rocco in Europa gut weiterleben. Der Abend gehörte wieder der anwesenden Familie. Grandma steuerte unglaublich schmerzhafte Jugenderlebnisse von Roccos Vater, dem cholerisch-grausamen Familienpatriarchen, bei. Exerzitien, durch einen gefühlsrohen Großvater bis hin zur Bewusstlosigkeit seiner vier malträtierten Jungen ausgeübt und in einer geheimnisvollen karmischen Wiederholung in die nächsten Familien transplantiert, stimmten mich nachdenklich und trieben Rocco Tränen in die Augen. Ein späteres Treffen der beiden Söhne mit dem so lange verachteten und gehassten Vater war, nach zehn Jahren Stille, von einer rückhaltlosen Aussprache gezeichnet und milderte, zurück in München, die seelischen Qualen des verlorenen Sohnes Rocco.
    Bruder John stand, nach jahrelangem Schweigen, Stiefschwester Babe und Mutter Clare als guter Freund zur Seite, die Ehe der Eltern war, aufgrund des gewalttätigen Vaters, schon seit Jahren geschieden. Bruder John übernahm nach der Wiedervereinigung das Sitting seiner Schwester sowie Housekeeping, um Clare den Besuch bei Sohn Rocco im Bayernland möglich zu machen. Dieser lebte und wirkte damals schon bei seiner jetzigen Chefin und Freundin in einer Kleinstadt in der Nähe von München.
    Rocco und Kalia, die beiden, die ich jetzt schon, beim zweiten Prosecco, dem dritten Espresso und einem griechischen Salatteller angelangt, seit drei Stunden, langsam verzweifelnd, erwarte.

    »Entschuldigung für die Wartezeit, war viel los im Büro, darf’s noch ein Prosecco sein?«, klettert mir plötzlich eine bekannte Stimme den Rücken herauf, um sich mit sicherem Schwung im gegenüberliegenden Stuhl niederzulassen. Das dieser Stimme zugehörige Antlitz kenne ich, doch hatte es bei unserem Treffen vor fünf Jahren weitaus weniger graue Haare und Fältchen um den Mund. Dunkle unruhige Augen richten sich jetzt auf mich. Ein Ring zieht sich langsam über meinem Herzen zusammen. Sie wird doch ihr Versprechen einhalten, dass ich Rocco wiedersehen kann? »Wann kommt Rocco?«, stelle ich jetzt meine Frage mit rauer, aufgeregter Stimme in den Raum.
    »Rocco kann heute nicht kommen, er kann auch morgen und übermorgen nicht kommen, Rocco ist von uns gegangen, tut mir schrecklich leid«, antwortet sie mit tonloser Stimme. »Ist er wieder zu seiner Familie nach Chicago zurückgekehrt?«, frage ich hoffnungsvoll. »Rocco ist vor zwei Jahren hier in seinem Apartment gestorben«, dringt eine kalte Frauenstimme in meine erstarrende Seele. »Warum hast du mich noch herbestellt, warum nichts am Telefon verraten, warum musste ich erst nach Berlin kommen? Weiß es denn seine Mutter Clare schon, die euch ja besucht hat? Was ist mit seinem Bruder, seiner Schwester, seinem Vater, mit Grandma, wo sind seine intimen Tagebücher?«, erbricht sich Frage um Frage weinend an dem steinernen Podest einer kalten Muttergöttin, deren Körper sich jetzt mit einem Ruck sichtbar versteift. »Ja, diese elenden Tagebücher waren der Beweis, dass sich Rocco vor dreieinhalb Jahren um eine Aufnahme auf deinen Bauernhof bemüht hat. Dieser mentale Kurzschluss hat sich durch Roccos darauffolgende schwere Lymphdrüsenerkrankung und unseren baldigen Umzug nach Berlin erledigt«, bemerkt die Chefin kalt, kurz und bündig.

    »Meine Post, wo blieb meine Post, sie kam ja nie zurück, ich muss Clare informieren, sein Grab, wo ist sein Grab, ich muss ihn dort aufsuchen«, schluchze ich in mich hinein. »Sämtliche Post wurde von mir und meinem Anwalt erledigt und auf Rat des Arztes nicht mehr an ihn ausgeliefert, Mutter und Familie auf seinen eigenen Wunsch nicht mehr informiert, was auch für dich angesagt war«, schleudert sie mir jetzt gnadenlos ins Gesicht. »Nein!«, rufe ich, »nein, das stimmt nie und nimmer, das weiß ich, das spür ich«, bricht es schreiend aus mir heraus. »Ein Grab gibt es nicht, die Amerikanische Botschaft hat die Kosten für die Verbrennung und die Kosten der Urne übernommen, deren Inhalt ich auf den Wunsch Roccos in einen Kanal gekippt habe. Das letzte halbe Jahr gab es keine medizinische Versorgung mehr, das war sein Wunsch. Er hörte auf zu essen und trank immer weniger. Nur noch ich durfte zu ihm, keine Telefonate, nur noch ich, sonst niemand«, sprach sie jetzt stoisch, wie zu sich

Weitere Kostenlose Bücher