Auf ein prima Klimakterium
selbst.
Was war mit seiner Seelsorge, vielleicht hätte man ihn ja mit Infusionen retten können, zieht es durch meinen schmerzenden Kopf, der die traurigen Bilder kaum mehr speichern kann. »Es fehlte ihm an nichts, wenn ich da war. Eines tut mir sehr leid, dass ich in seiner fünftägigen Sterbephase nicht bei ihm sein konnte, denn ich hatte auswärts Termine. Was für ein schöner Junge Rocco war, sein einmaliger Humor und sein scharfer Geist haben mir viel Freude gemacht. Er war halt schwul, rettungslos schwul, tun mir sehr leid, die letzten fünf Tage«, spricht sie wie ein erkalteter Roboter in die Runde und verschwindet grußlos durch ihre Bürotüre, während mich eine grenzenlose Verzweiflung überfällt. Rocco wollte doch immer eine romantische Bestattung auf dem offenen Meer, mit einer speziellen hawaiianischen Zeremonie beseelt, und er wollte bestimmt zu mir, wie wir es abgesprochen hatten. Sie lügt, ist aber dabei sehr traurig, hat ihn wohl, da er schwul war, bestimmt sehr unglücklich auf ihre eigene Art geliebt, das fühle ich.
In den letzten fünf Lebenstagen ist er verdurstet, als ob sich das missglückte Attentat seiner Mutter in seinen jungen Jahren geheimnisvoll eingelöst hätte. Clare wird sich die Augen ausweinen, ich muss sie und ihre ganze Familie vom Tod Roccos unterrichten und beichten, dass es kein Grab gibt und keine Aussegnung gegeben hat! Ich will nur noch nach Hause.
Ironie des Schicksals: Clare konnte nicht zu Roccos Gedenkfeier nach München kommen.
Mom Clare hatte sich am Todestag ihres Sohnes das Leben genommen, wie es Bruder John, der mit Grandma, Schwester und Vater unserer Einladung Folge leisten sollte, am Telefon traurig übermittelte. Zu meiner großen Erleichterung nahm auch Roccos Freundin aus Berlin meine Einladung an und kam.
Ein tröstender Gedanke aber bleibt fort und fort,
dass Gott auch widrige und schmerzliche Schicksale nur
aus Liebe sendet, um unsere Gesinnungen zu läutern.
Wilhelm von Humboldt
Das Vöglein
Da heut lange saß
Auf dem Geäst vor meinem Haus,
wie es so stumm zu mir geblickt
als ob
es trug meine Gedanken aus.
Doch hoff ich
Es flog nicht zu dir
Um zu erzählen
Was es weiß,
ich hoff’s erfror im eisigen Wald
auf seiner viel zu weiten Reis
Anna Burchard
Rat und Tat
»Media vita in morte sumus« – Mitten im Leben vom Tod umfangen
O Herr, gib jedem seinen eignen Tod.
Das Sterben, das aus jenem Leben geht,
darin er Liebe hatte, Sinn und Not.
Denn wir sind nur die Schale und das Blatt.
Der große Tod, den jeder in sich hat,
das ist die Frucht, um die sich alles dreht.
Rainer Maria Rilke
»Das ist die Frucht, um die sich alles dreht«, beende ich mit bewegter Stimme den feinsinnigen Text von Rilke für eine konzentriert lauschende Publikumsrunde, die sich für unsere lieb gewonnene Lesung »Lieder und Gedichte vom Sterben fürs Leben« im Bauch der Münchener Karmeliterkirche zusammengefunden hat.
Gleich werde ich von der schönen Stimme meines Seelenbruders und Bühnenpartners Josef Brustmann abgelöst, die das vertonte Gedicht von Joseph von Eichendorff, mit feinfühligem, gekonntem Zitterklang ummantelt, zum Besten gibt. »Die Luft ging durch die Felder, die Ähren wogten sacht, es rauschten leis die Wälder, so sternklar war die Nacht. Und meine Seele spannte weit ihre Flügel aus, flog durch die stillen Lande, als flöge sie nach Haus«, ergießt sich das berührende Lied in den voll besetzten Kirchenraum. Unser einmaliger Musiker Andy Arnold umschlängelt unsere leisen Töne und Worte so gekonnt und liebevoll mit seiner Klarinette, dass sich das Publikum von uns voll umarmt fühlt, so wird es uns nach den Vorstellungen oft übermittelt. Dieses besinnliche Programm auf leisen Sohlen, heute in München für das Hospiz der Barmherzigen Brüder auf die Beine gestellt, ist uns, nach einer überraschend erfolgreichen Spielzeit, ein Herzensanliegen geworden, ebenso die Hospiz-Bewegung, die Gott sei’s gedankt, das Bewusstsein der Menschen immer mehr erobert.
Lassen wir unsere sterbenskranken Mitmenschen nicht allein, geben wir ihnen Seelsorge und einen Ruhepunkt, damit sie ihre letzte Reise in Frieden antreten können. Durch eine palliative medizinische Behandlung ist es möglich, den Sterbenden schreckliche Schmerzen zu ersparen. In den Hospizen wird der Patient nach seiner Austherapierung keinen lebensverlängernden Maßnahmen durch Maschinen ausgesetzt und liefert nach seinem Ableben auch keine negativen Fallzahlen
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