Auf ein prima Klimakterium
ein. Mit frischem Linnen überzog ich das ganze Bett und nahm sie fest in die Arme. »Hier bei euch bleibe ich, nie mehr gehe ich ins Krankenhaus«, entfloh ihr mit einem wohligen Seufzer aus der Brust. War sie die Tage vorher eher unruhig, so schien an diesem Tage bereits eine tiefe innere Gewissheit und ein Kontakt zur anderen Seite zu bestehen. Unsere Mama Agnes deutete nur einmal kurz an ihre Halsschlagader, eine Einatmung, eine Ausatmung, und schon zeichnete sich ein kleines Lächeln auf ihrem Antlitz ab. Da spürte man kein Zaudern, keine Ängste, das gab es kein Warten, kein Zittern und Zagen oder Verharrenmüssen an Stationen der Sünde. Agnes durfte den Lebens-Tunnel rückwärts gleich bei Grün in einem Zug durchschreiten, ohne von roten Ampeln an sündhaften Hängen gestoppt zu werden. Das könnte ich spüren, denn sie lag in meinen Armen, als sie hinüberging auf die andere Seite des Jordans, wie ich es immer nenne.
Jetzt war es an der Zeit, die Kerzen aufzustellen, aus der Bibel meiner Mutter die Gebete herauszufinden, die der Seele der Reisenden klarmachen sollten, in welcher Dimension dieses Lebensabschnittes sie sich befindet. Ich fühlte eine große Kraft und Ruhe in mir, um die jetzt nötigen Dienstleistungen für meine heimgegangene Mutter liebevoll zu erledigen. Meine Schwester, mit der Situation überfordert, weinte haltlos und laut. Es gelang mir, sie zu beruhigen, und unsere laut gesprochenen, immer wiederholten Gebete in einer Rosenkranz-Meditation taten auch ihrer Seele wohl. Für ganze zwölf Stunden blieb unsere Mutter, von mir fein frisiert und bekleidet, in ihrem beschützten Heim aufgebahrt. Liebe Freunde kamen, um ihr eine letzte Aufwartung zu machen, Lieblingskater Charly hatte sich friedlich schlafend auf ihrem Bauch eingekringelt.
Siebzehn Stunden dauert es, liebe Leser, bis sich das Gehirn nach Herzstillstand in Intervallen komplett abschaltet, für das Herz- und Kreislaufsystem hat sich unser Schöpfer noch eine Zeitspanne von vierundzwanzig Stunden ausbedungen. Deshalb findet man im christlichen Religionsritual, aber auch im hinduistischen, den empfohlenen Dreitage-Turnus vor einer Einäscherung oder Beerdigung von Verstorbenen sehr ausgeprägt herausgestellt, was ja in unserer hektischen lebensverherrlichenden und den Tod negierenden Zeit kaum mehr in Erwägung gezogen wird.
Ein Joghurt-Konzern wirbt mit neben großen Heilungsversprechungen mit dem Slogan »Fit bis zum letzten Tag«! Tja, wenn’s nur was hermacht, würde meine Mutter jetzt dazu bemerkt haben. Im täglichen Fitness-Lebensumfeld werden dafür Unfälle, Mord und Totschläge, die zum Tod führen, samt pathologischer Leichenbeschau in den täglichen Medien, TV- und Zelluloid-Friedhöfen, umso emsiger und geschäftslüsterner abgewickelt. Eine Aufbahrung der Verstorbenen in den eigenen vier Wänden und eine religiöse Abschiedszeremonie zur Erweisung der letzten Ehre waren in meiner Kindheit natürliche, angstfreie Erfahrungen und gehören für mich auch noch heute zu einem ethischen Grundkodex der menschlichen Existenz, für dessen Erfüllung ich mich nach außen hin still und leise, aber in meinem privaten Umfeld sehr stark engagiere.
»Wer Angst hat vor dem Sterben, fängt nie zu leben an«, singt Bette Midler in ihrem wunderbaren Song The Rose , mit dem ich unser Programm von den Sterbeliedern eröffne. »Die singt sich leicht, wahrscheinlich ist sie, was das Thema Tod, vor allem ihr eigenes Sterben und das von nahen Bezugspersonen und Tieren betrifft, genauso voller Angst wie ich und meine Tante Renate«, bemerkte meine Tochter Daniela in unserer Programmpause aufgewühlt. »Ja, wir alle waren erleichtert, dass du bei Omas Sterbestunde als Hebamme, wie du immer sagst, mit so einer Seelenruhe reagieren und das Nötige für uns alle tun konntest und ich durch diese Erfahrung meine große Angst vor dem Sterbevorgang an sich abbauen konnte«, mischte sich nun auch Schwester Renate in den Gedankenaustausch ein. »Ja, ja antwortete ich melancholisch, »den eigenen Tod stirbt man, doch mit dem Tod der Mutter muss man leben«, was von lebendigem Kopfnicken und hörbaren Seufzern einiger Anwesender begleitet wurde.
Niemand soll ohne Begleitung sterben müssen, eine Hebamme bei der Geburt, eine Hebamme zur großen Heimreise, in staatlicher Order, kostenfrei, das ist ein großes Herzensanliegen von mir. Fangen wir einfach schon mal an im kleinen familiären Kreis unserer Angehörigen und Freunde. Hab ich jetzt WIR
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