Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt
ist alles.
Kocht Loki?
Ja, sehr ordentlich.
Sind Ihnen auf Reisen auch unheimliche Dinge serviert worden, zum Beispiel in China?
Seltsame Sachen hat man bisweilen gegessen. Ich glaube, ich habe mal Insektenaugen gegessen – als Kaviar.
Mögen Sie es, wenn der Teller voll ist? Herr Siebeck lästert immer wieder darüber, dass die Portionen in Deutschland zu groß sind.
Ja, das ist so. Für mich sind sie immer zu groß, es bleibt immer etwas auf dem Teller. Das liegt allerdings daran, dass ich im Wesentlichen von Kaffee und Zigaretten lebe und nicht von Speisen.
Sie essen so wie jemand, der Essstörungen hat.
Ja, ich bin aber nicht essgestört. Ich nehme auch nicht ab.
War es immer schon so, dass Sie wenig gegessen haben?
Wahrscheinlich, aber ich wiege konstant etwas über 80 Kilo.
Sie haben als junger Mann die Erfahrung von Hunger gemacht. Prägt das fürs Leben?
Hunger? Ja, die Erfahrung habe ich weiß Gott gemacht. Es war während des Krieges in Russland, aber insbesondere dann in der Nachkriegszeit, am schlimmsten vorher in der Kriegsgefangenschaft. Die Engländer hatten nichts zu essen, die hatten nicht mit solchen Massen von Kriegsgefangenen gerechnet. Das Einzige, was sie hatten, war Klopapier. Aber weil wir nichts zu essen kriegten, brauchten wir auch kein Papier.
Haben die Deutschen in den Fünfzigerjahren so kalorienreich zugelangt, weil sie solche Erfahrungen kompensieren mussten?
Ja, natürlich. Es war im Übrigen auch eine Periode des Wiederaufbaus der körperlichen Kräfte. Wir Deutschen haben dann ein bisschen zu viel gegessen und wurden ein bisschen zu schwer.
Aber Sie erinnern sich auch noch an die Würste, die plötzlich in den Schaufenstern hingen?
Wir hatten einmal vor der Währungsreform, 1948 muss das gewesen sein, Besuch von einem englischenPaar. Loki hatte Kartoffelsalat und Würstchen gemacht. Damals sagte Nocker White zu seiner Frau: »Und ich dachte immer, wir hätten den Krieg gewonnen!«
18. September 2008
[ Inhalt ]
»Ein paar Zentimeter links von der Mitte«
Die Gefährdung des Sozialstaates
Lieber Herr Schmidt, eine Lieblingsthese der ZEIT -Redaktion lautet, dass Deutschland nach links gerückt sei. Teilen Sie diesen Eindruck?
Bezogen auf die Sozialpolitik ist diese Aussage nicht unbedingt verkehrt.
Stört Sie das?
Ich bin ein Anhänger des Sozialstaates. Ich halte den Sozialstaat für die größte kulturelle Leistung, die wir Westeuropäer im 20. Jahrhundert zustande gebracht haben. Ich sehe den Sozialstaat allerdings durch die Überalterung der europäischen Völker gefährdet und weil zugleich für sehr viele Deutsche die Rentenzahlung heutzutage bereits mit 61 Jahren beginnt. Inzwischen sind 25 Prozent aller Deutschen schon Rentner.
Sie sind ein Anhänger des Sozialstaates – würden Sie sich auch als links bezeichnen?
Nein. Ich habe immer in meinem Leben gesagt: ein paar Zentimeter links von der Mitte.
Es gibt in den Parteien fast nur noch Anhänger des Sozialstaates, auch wenn viele wissen, dass man ihn sich so, wie er ist, oder zumindest so, wie er vor der Einführung der Agenda 2010 war, nicht mehr leisten kann.
Die Mehrheit der Deutschen verlangt die Aufrechterhaltung des Sozialstaates. Das schließt beinahe die CDU ein und geht zum Teil rechts über sie hinaus. Wer aber Übertreibungen und finanzielle Gefährdungen des Sozialstaates zu korrigieren versucht, läuft Gefahr, nicht gewählt zu werden.
Dann müssten Sie ja auch für den Erfolg der Linkspartei Verständnis haben.
Verständnis schon, aber er missfällt mir außerordentlich. Die Linkspartei wird von ökonomischen Opportunisten geführt, wie wir sie in Deutschland nach 1945 bisher kaum erlebt haben.
Das ist ja noch eine milde Charakterisierung von Lafontaine. Musste das mit dem Hitler-Vergleich sein?
Ich habe keinen der heutigen Politiker mit Hitler verglichen. Wohl aber habe ich, über charismatisch begabte Politiker sprechend, einige namentlich genannt, von Franz Josef Strauß und Willy Brandt bis zu Obama, Hitler und Lafontaine. Der Kernsatz war: Man darf nicht vergessen, dass Charisma allein noch keinen guten Politiker macht.
Gut, aber was sind die Gründe für deren Aufstieg?
In Deutschland gibt es sicherlich eine größereBereitschaft zur Ängstigung als in den meisten anderen europäischen Staaten. Das hängt mit dem Bewusstsein zusammen, zwei Weltkriege angefangen und unter schrecklichen Verlusten verloren zu haben. Die Angst sitzt nicht in den Genen, sie ist ein kulturelles
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