Auf ewig und einen Tag - Roman
abgewandt hatte, verschwunden. Ich streckte die Hand aus, um die braune Haarsträhne zu berühren, die über ihr Ohr fiel. Das Haar war steif wie Reisig, nicht echt, nicht das Haar meiner Mutter.
Sie setzte an zu sprechen, brach aber wieder ab. »Du bist nass«, sagte sie schließlich. »Warst du im Regen draußen?«
Unsere Mutter sollte warme Augen haben, mit Fältchen darum, wenn sie lächelte. Sie sollte attraktiv sein, aber auf eine bodenständige Weise, als könnte sie einen in den Arm nehmen, wenn man sich die Knie aufgeschlagen hatte, und mit dieser Umarmung alles wiedergutmachen. Aber diese Frau hatte das Haar zu einem Chignon geschlungen, und ihre Lippen waren dunkelrot geschminkt. Sie war so jung, zu jung. Sie hätte in meinem Alter sein können, eine Frau, nach der sich die Männer umdrehten. Nicht meine Mutter.
»Aber du siehst gut aus«, sagte sie leise. »Du bist so hübsch geworden.«
Sie trug Make-up. Welcher Mensch würde wohl an Make-up denken, wenn er zu seiner sterbenden Tochter ging? Diese Frau war unberührbar, strahlend, wie jemand aus einem Magazin, wie jemand, den man in der Faust zerknüllen könnte und der hinterher trotzdem noch genauso aussehen würde wie zuvor. Mich überkam plötzlich heftige Sehnsucht nach Daddy. »Du bist hier«, sagte ich.
»Ich musste sie sehen«, sagte sie langsam. »Ich wollte sie sehen, bevor es zu spät ist.«
Eves Gesicht verzerrte sich leicht und drückte alle Verschlingungen und Knoten meines verhedderten Inneren aus. »Woher hast du überhaupt erfahren, dass ich krank bin?«, fragte sie.
Unsere Mutter stand auf und ging zu dem Holzofen hinüber, dort blieb sie stehen und starrte an die leere Wand darüber. »Ihr müsst wissen, dass ich mich über euch immer auf dem Laufenden gehalten habe, über euch beide.«
»Auf dem Laufenden gehalten? Wie denn? Über die Caines? Bert und Georgia?«
»Es ist nicht wichtig, über wen. Wichtig ist nur, dass ich von
Anfang an alles getan habe, um zu erfahren, ob es euch gut geht.«
Ich sah sie an und dachte, dass sie die ganze Zeit wusste, wo wir waren, und dass wir die ganze Zeit gewartet hatten. Und in dem Moment wünschte ich mir, wir würden immer noch warten. Das wäre besser gewesen als das hier, sie wäre besser ein Teil unserer Erinnerung geblieben, eine Hoffnung, an die man sich klammern konnte, ein Stück aus unserer Vergangenheit, und unsere Zukunft noch immer auf Eis gelegt, statt diese reale Frau, die ich nicht kannte.
Ich setzte mich aufs Bett, auf die Stelle, die sie gerade verlassen hatte, und spürte ihre Körperwärme. Flüsternd stieß ich hervor: »Wir waren Kinder.«
Eve nahm meine Hand, verschränkte die Finger mit den meinen, und plötzlich, während wir beide auf dem Bett saßen und unsere Mutter vor uns stand, sah ich diese Mutter als das, was sie war: ein komisches Anhängsel, etwas, das lose an uns baumelte, nichts klar Definiertes, keine Antwort. Nur eine Frau. Eine Frau, die nicht wusste, wie man Mutter war.
»Weißt du, was wir immer gemacht haben?«, fragte ich. »Daddy sagte uns, du seist auf einer Segeltour, du würdest zurückkommen, nachdem du die Welt gesehen hättest. Also warteten Eve und ich im Hafen und hielten Ausschau nach dir.«
Ihre Augen zuckten. Nur ein Moment der Verwirrung, das Eingeständnis, dass sie wusste, wie sehr sie uns verletzt hatte. Aber der Schmerz ging schnell vorbei, und sie nahm sofort wieder die äußerlich so perfekte Haltung ein. »Ich weiß«, sagte sie. »Ich weiß, wie es gewesen sein muss.«
Eve lächelte leicht. »Am Anfang gingen wir fast jeden Tag dorthin, im Sommer, im Herbst, im Winter in unseren Ski-Parkas,
wir standen einfach da, hielten uns an den Händen und sahen hinaus.«
Unsere Mutter blinzelte schnell. Um die Tränen zu unterdrücken? Oder hatte sie nur etwas im Auge? »Ich hab die ganze Zeit daran gedacht, euch zu besuchen«, sagte sie, »aber ich konnte euch nicht zu mir nehmen, das ging einfach nicht. Und ich wollte euch nicht wehtun, indem ich euch das sagte. Außerdem wusste ich, ihr hattet euren Dad. Und die Caines.«
»Die Caines waren nicht unsere Eltern«, sagte ich.
»Ich bin auch kein Elternteil, nicht, was ihr darunter versteht.« Sie trat näher, hob die Arme und ließ sie wieder fallen. »Es gibt Frauen, die sind dafür bestimmt, Mütter zu sein, und dann gibt es Frauen, die bringen Kinder zur Welt und haben das Gefühl, es sei irgendein Fehler passiert und diese Babys könnten unmöglich zu ihnen gehören. Ich
Weitere Kostenlose Bücher