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Auf ewig und einen Tag - Roman

Titel: Auf ewig und einen Tag - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Joy Arnold Angelika Felenda
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Festland, die sich die Sehenswürdigkeiten anschauen will, die irre, kahle Frau, das dürrste überlebende Wesen auf der Welt, aber dann sah ich dein Gesicht und erkannte dich.«

    Tränen standen in den Augen unserer Mutter. Echte Tränen, und ich konzentrierte mich darauf, ließ das Bild der Tränen immer und immer wieder vor mir abspulen, damit genau dieses Bild vor mir auftauchte, wenn ich mich irgendwann daran erinnerte, was sie zu uns gesagt hatte. Sie drehte sich zu mir um, als erwartete sie irgendeine Bestätigung, aber ich hatte nichts, was ich ihr geben konnte. Ich richtete einfach starr den Blick auf sie und wartete, dass sie ging.
     
    Unsere Mutter blieb den ganzen Nachmittag. Ich sagte kaum etwas, konnte nicht sprechen, sondern lauschte nur ihrer Stimme, die ruhig und tief und das Einzige an ihr war, an das ich mich wirklich erinnern konnte. Ich überließ es Eve, unser Leben zu schildern, es ihr wie in flachen, emotionslosen Schnappschüssen vorzulegen, und hörte zu, wie unsere Mutter ihr Leben zu erklären versuchte. Doch es waren keine Antworten, nur Worte, und sie reichten nicht einmal ansatzweise für mich aus.
    Am Ende schien es, als würde uns der Gesprächsstoff ausgehen. Wir saßen unbehaglich da, als warteten wir auf ein Ereignis, das nie eintrat. Als es für sie Zeit zum Gehen war, wandte sie sich an Eve. »Du weißt, dass ich dich wahrscheinlich nicht wiedersehen werde.«
    Eve nickte langsam. »Ist schon gut.«
    »Es tut mir leid«, sagte sie.
    Eve lächelte. »Ich weiß. Und das reicht mir.«
    Nachdem sie das Haus verlassen hatte, stand ich am Fenster und beobachtete ihre schwingenden Hüften beim Gehen, was selbst unter dem Regenmantel ganz unmissverständlich Eves Gangart war. Sie war fortgegangen, ohne zuvor auch nur den Regenmantel abgelegt zu haben, ohne eine Umarmung oder einen
Kuss. Und ein Teil von mir wollte sie aufhalten, ihr all die Dinge sagen, die ich ihr seit fünfundzwanzig Jahren hatte sagen wollen. Eve würde fortgehen, und sie war zurückgekommen, und es sollte irgendeine Art von Ausgleich, irgendeine unerwartete glückliche Wendung bei dem Ganzen geben. Doch stattdessen war es wie ein Blitz im Dunkeln, der einen noch blinder zurücklässt, als man vorher schon war.
    »Worüber hat sie geredet, bevor ich dazukam?«, fragte ich. »Hat sie irgendwas erzählt?«
    »Nichts über sich. Sie redete ein bisschen über mich, über die Dinge, an die sie sich erinnert, als ich ein Kind war. Über uns beide.«
    »Was für Dinge? Gute Dinge?«
    »Natürlich gute Dinge. Und sie schien so glücklich zu sein, als sie darüber sprach. Ich glaube wirklich, dass sie uns geliebt hat, Ker, auf ihre Art eben.«
    Ich beobachtete Eve eine Weile, dann griff ich nach dem Medaillon und betastete die winzigen Zähnchen darin. Auf dem Nachttisch lag der Umschlag, den unsere Mutter zurückgelassen hatte. Er war dick, mit irgendetwas gefüllt. Ich leerte ihn aufs Bett, und Briefe fielen heraus, vielleicht fünfundzwanzig oder dreißig, alle in unregelmäßiger Schrift.
    Ich faltete einen auf, und als ich die Unterschrift sah, dämmerte es mir mit einem Schlag. »So hat sie erfahren, dass du krank bist«, flüsterte ich.
    Eve nahm den Brief, überflog ihn langsam, und Tränen traten in ihre Augen. Sie blickte auf und sah mich breit lächelnd an. »Heilige Scheiße«, sagte sie.

Juni 1994

28
    Wir saßen mit leerlaufendem Motor in Justins Wagen und sahen auf den Ozean hinaus. Nur die Schaumkronen entfernter Wellen waren in der Dunkelheit sichtbar, die gegen Felsen schlugen und schräg auf den Strand zuliefen. Ab und zu stotterte der Motor und gab ein Zittern von sich, als wolle er einen Kommentar abgeben.
    »Also gut«, begann Justin schließlich. Sein Gesicht wirkte grau im Schein der trüben Straßenlaternen. Auf dem Ärmel seines Jacketts war ein Fleck, doch in dem schwachen Licht konnte ich nicht erkennen, ob es Schmutz oder Blut war. »Was macht ihr morgen?«, fragte er. »Habt ihr irgendwas geplant?«
    Ich sah nach hinten zu Eve auf dem Rücksitz. Völlig apathisch hatte sie den Kopf an die Scheibe gelehnt. Als sie nicht antwortete, drehte ich mich zu Justin um, weil ich irgendeine Art der Beruhigung brauchte, aber er hielt den Blick auf die dunkle Windschutzscheibe gerichtet.
    »Wann fangen eure Jobs an?«
    »Nächsten Montag.«
    »Gut.« Er umklammerte das Lenkrad. »Ich fange morgen mit der Arbeit an. Und ihr müsst irgendwas tun, es spielt keine Rolle, was. Geht an den Strand, kauft eine

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