Auf ewig und einen Tag - Roman
mein Leben und diese beiden Teile von mir nachdenken, die irgendwo dort draußen sind, und darüber, wonach ich die ganze Zeit gesucht habe.«
»Du hast nach uns gesucht?«, fragte Eve so verzweifelt, wie wir damals mit sechs oder mit sechzehn gewesen waren, als wir so sehr wollten, dass sie die Leere in sich ebenso spürte wie wir.
»Ich weiß nicht. Ich glaube, ihr wart ein Teil von dem, was ich zu finden versuchte, was ich für meine Familie hätte empfinden sollen, aber aus irgendeinem Grund nicht konnte.« Sie strich sich mit abwesendem Blick und einem seltsamen Lächeln übers Haar. »Ich habe alles erreicht, was ich sonst wollte, mit zwei Jobs gleichzeitig meine Schule finanziert, vor ein paar Jahren einen tollen Mann geheiratet und ihn nach drei Monaten wieder verlassen. Und letztes Jahr habe ich diesen großartigen Preis gewonnen, den Preis des Präsidenten für meine PR-Firma.« Sie schüttelte den Kopf, als wäre sie verblüfft, ging dann zum Fenster und lehnte die Stirn an die Scheibe. »Alles, worum ich mich je bemüht habe, ist mir zugefallen, nur euch lieben zu lernen ist mir nicht gelungen. Nicht genügend.«
Ich hielt den Atem an und spürte eine Blase in meiner Brust, die sich immer weiter ausdehnte und meinen Lungen keinen Raum mehr ließ.
»Ist schon gut«, sagte Eve. »Du hast es versucht.«
Ich starrte Eve an. Ihr Gesichtsausdruck war ruhig, fast teilnahmsvoll.
Unsere Mutter wandte sich lächelnd zu uns um. »Ich wollte euch etwas zeigen«, sagte sie und zog einen großen braunen Umschlag aus ihrem Regenmantel. Daraus nahm sie ein Foto von Eve und mir, auf dem wir die Water Street hinuntergehen, das offensichtlich ein Jahr vor meinem Weggang aufgenommen worden war.
»Wie bist du daran gekommen?«, fragte ich.
»Euer Dad hat jedes Jahr Fotos geschickt.« Sie reichte es mir lächelnd. »Und nachdem er fort war, hab ich das hier von einer Freundin bekommen, einer gemeinsamen Freundin von uns, die fand, dass ich wissen sollte, wie ihr ausseht. Es war das letzte Bild, das ich geschickt bekam.«
Ich sah das Foto an. Eves Haar war kurz und struppig. Ich hatte einen verblüfften Ausdruck auf dem Gesicht. »Von wem?«, fragte ich.
Sie beachtete mich nicht und griff erneut in den Umschlag. »Das wollte ich euch geben.« Sie streckte die Hand aus. Ein goldenes Medaillon in der Form und Größe einer Taschenuhr fiel aufs Bett. Ich hob es auf.
»Euer Vater hat es mir geschickt in dem Jahr, als ich fortging. An der Kette hing ein Schlüssel, und nachdem ich etwas hineingetan hatte, verschloss ich das Medaillon und schickte den Schlüssel an euch und euren Dad zurück. Und die ganze Zeit dachte ich an euch drei über dem Ozean und daran, dass ich etwas in das Medaillon getan hatte und ihr den Schlüssel hattet. Das bedeutete für mich, dass noch etwas passieren würde. Dass es nicht vorbei war.«
Ich drehte das Medaillon um und sah die Rückseite an. Über einem angelaufenen Schlüsselloch stand in zierlichen Lettern eingraviert: Du wirst immer in mir sein. Ich starrte auf die Schrift,
betastete das Schloss und nahm dann wortlos den Schlüssel vom Hals.
Er war abgenutzt inzwischen, passte aber noch immer perfekt ins Schloss. Ich drehte ihn herum, der Deckel sprang auf, und zwei winzige Zähne und zwei Locken aus feinem Babyhaar fielen aufs Bett. Eve blickte mich an, nahm die Zähne und legte sie auf ihre Handfläche.
Im Innern des Medaillons befanden sich zwei kleine Fotos, das eine zeigte meine Mutter in einem langen Kleid und Schleier mit Daddy neben ihr, das andere war ein Familienbild aus einer Zeit, als Eve und ich etwa vier oder fünf waren. Wir trugen die gleichen Kleidchen mit Matrosenkragen und saßen vor unseren Eltern, die Hand in Hand dastanden, Daddy strahlend in unwissender Seligkeit.
»Hier.« Sie legte den Umschlag aufs Bett. »Seht es euch an, wenn ich fort bin, ja? Es erklärt alles.«
»Du hast unsere Zähne aufgehoben?«, flüsterte Eve.
Unsere Mutter schenkte Eve ein Lächeln, das eher wie eine Grimasse aussah. »Ich habe dir deinen Namen gegeben, weißt du das, Eve? Kerry war die Wahl deines Vaters, aber du warst die meine. Du bist als Erste herausgekommen, und ich sagte zu ihm, das ist Eve.«
Eve schloss die Finger um die kleinen Zähnchen. »Ich hab dich am Fenster stehen sehen, weißt du. Ich hab dich dort stehen sehen und dachte zuerst, du seist eine Touristin, die sich wegen des Regens unterstellt.« Sie stieß ein ersticktes Lachen aus. »Eine blöde Tusse vom
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