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Auf ewig und einen Tag - Roman

Titel: Auf ewig und einen Tag - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Joy Arnold Angelika Felenda
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ist das ein besonderer Tag.« Ich versuchte, mich zu erinnern, wie ich zwölf wurde und ein Geburtstag eine ganz große Sache war. Wie ich am Abend zuvor ins Bett ging und dachte: Das ist die letzte Nacht, die ich elf bin, und wie ich am nächsten Morgen aufwachte und mit geschlossenen Augen dalag, um herauszufinden, wie anders es sich anfühlte, zwölf zu sein.
    Gillian nahm das blaue Merkblatt vom Schoß. »Es ist, als gäbe es zwei Welten«, sagte sie. »Die Welt mit mir, Mom und Dad, und die von allen anderen. Sie sind dort draußen und halten es für eine ganz tolle Sache, dass sie dieses Stück aufführen.« Sie knüllte das Blatt zusammen und sah ihm nach, wie es zu Boden fiel. »Wie kommt es, dass manche Leute normale Familien haben?«
    Ich schüttelte den Kopf und wünschte, mir fiele eine Antwort ein, die wenigstens ein bisschen tröstlicher wäre als die banale Erkenntnis genervter Eltern, dass das Leben eben unfair ist. Ich hatte schon vor Langem gelernt, dass sich alles ohne Grund und
Berechtigung von wunderbar zu schrecklich und wieder zu wunderbar wandeln konnte. Dass es selbst dann, wenn man die Dinge aus der richtigen Perspektive sah, keine Möglichkeit gab, sie zu verstehen, egal wie genau man sie auch betrachtete. »Ich bin auch in deiner Welt, Gillian«, sagte ich. »Ich weiß, dass du das jetzt nicht siehst, aber ich bin genauso dort wie du und wünschte, ich könnte dorthin zurück, wo die kleinen Dinge zählen.«
    Gillian starrte mich an und setzte die Kopfhörer wieder auf. Sie drehte die Lautstärke ihres Walkman so laut auf, dass ich den stampfenden Rhythmus hören konnte, dann drehte sie schnell den Sendeknopf rauf und runter, und die Stimmen aus dem Radio verschwammen zu einer unverständlichen Kakofonie.
     
    Ich hatte diese ganz besondere Luft auf der Insel vergessen, wenn sie nach Regenfällen einen dunstig-grauen Farbton annahm. Ich hatte vergessen, wie die Sonne Pfeile durch Äste und Wolken schoss und Lichtflecken auf die Wege streute. Nach dem Regen war es schwül geworden, und während wir mit den Geburtstagsgeschenken für Gillian durch die Straßen gingen, zogen Justin und ich unsere Jacken und Pullover aus, und unsere Unterhaltung wurde locker und vertraut.
    »Eine meiner ersten Erinnerungen an dich ist, wie ich dich vom Dach der Powells aus gesehen habe«, sagte Justin und deutete mit dem Kopf auf ein mit gelben Schindeln verkleidetes Haus, an dessen Veranda ein Spalier angebracht war. »Du hast diesen langen Rock angehabt.«
    »Ich hab in einer Schulaufführung eine Farmersfrau gespielt und dachte, der Rock würde mich mindestens wie sechzehn aussehen lassen.«

    Justin lächelte. »Und dieses Spalier war wie ein Magnet. Ich kletterte daran hoch; du hast hier gestanden und zugesehen, und als du es nicht mehr ausgehalten hast, hast du den Rock ausgezogen und bist zu mir hinaufgeklettert.«
    Ich erinnerte mich, wie ich mit nackten Beinen und voller Stolz neben ihm saß und über breite Baumkronen hinaussah. Ein Flugzeug flog über uns hinweg, er nahm meine Hand, damit ich das Gleichgewicht nicht verlor, und ließ sie erst wieder los, als wir aufstanden, um wieder hinunterzuklettern.
    »Ich fand das toll«, sagte er. »Wenn du etwas wolltest, hast du es einfach getan. Es gibt nicht viele sechsjährige Mädchen, die so mutig sind.«
    »Und zudem hatte ich hübsche Beine«, antwortete ich, plötzlich unerwartet aufgekratzt. Ich sehnte mich mit einem Mal danach, meinen Kopf an seine Schulter zu lehnen, ballte aber stattdessen so fest die Fäuste, dass sich meine Fingernägel in die Handflächen gruben. Ich hatte geflirtet, das war mir bewusst.
    Eine Weile gingen wir schweigend weiter. Als uns ein Auto überholte, trat er vor mich, und ich zwang mich, auf den Boden zu schauen, damit ich die Umrisse seiner Schultern und seine Beine in den Jeans nicht sehen musste. Doch kurz darauf wanderte mein Blick wieder ganz von selbst zu seinen Beinen zurück. Wie verachtenswert war ich nur? Absolut verachtenswert.
    Als wir die Klippen erreichten, blickten wir auf die anrollenden Wellen hinab, wo sich die Schaumkronen hintereinander aufreihten und brechend ans Ufer strömten.
    »Schön wie immer, nicht?«, sagte er.
    Aber das war es nicht, was ich dachte, ganz und gar nicht. Ich fragte mich, wie dieser Ort so ruhig sein konnte, so aufgeräumt
wie zusammengelegte Socken. Nur die gezackten, unter dem Wasser sichtbaren Felsen waren noch die gleichen, Felsen, von denen wir fälschlicherweise gedacht

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