Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)
Rabbinerzu konsultieren, statt sich an die im England des 18. Jahrhunderts herrschende allgemeine Meinung zu halten. Denn die jüdische Praxis, die auf biblische Zeiten zurückgeht, beruht auf der genauen Beobachtung, daß Frauen etwa in der Mitte ihres Zyklus am fruchtbarsten sind. Ohne es zu wissen, folgten Godwin und Mary Wollstonecraft einem Zeugungsprogramm. Das Unvermeidliche geschah.«
Mary versank in eine tiefe Depression. Ein zweites Kind, das war gar nicht auszudenken, gesellschaftlich und finanziell eine Katastrophe. Sie arbeitete an einem Roman und schrieb ab und zu wieder Rezensionen für die Analytical Review , aber die brachten nicht genug ein, um sich und die Ihren durchzubringen (Fanny, Marguerite, ein Dienstmädchen, das Mary hieß wie sie). Imlay hatte zwar hoch und heilig versprochen, für Fanny regelmäßig Unterhalt zu zahlen, aber auch dieses Versprechen gebrochen. Sie hatte Schulden machen müssen. Wie sollte sie die je zurückzahlen? Nie war sie abhängiger von fremder Hilfe gewesen als jetzt, da sie in einer Beziehung lebte, die programmatisch auf Unabhängigkeit basierte. »Ich bin auf alles vorbereitet. Ich kann die Konsequenzen meiner Handlungen auf mich nehmen und will niemanden in meine Schwierigkeiten involvieren«, schrieb sie am 31. Dezember 1796 an Godwin. Eine traurige Jahreswende, ein trüber, kalter Winter! Ihr war dauernd schlecht – »das unelegante Übel, daß noch kein Romanautor als eine der Folgen von Herzensnöten zu erwähnen den Mut fand«. »Es schneit, so unablässig, daß ich nicht weiß, ob ich meine Verabredung heute abend einhalten kann. Was sagst Du? Aber Du hast keine petticoats , die im Schnee schleifen. Arme Frauen – wie sind sie von Plagen überhäuft – von innen und von außen.«
Godwin sah ein, daß er über seinen Schatten springen und heiraten mußte. »Sie wollte es vermeiden und vielleicht mit Recht, sich aus der Gesellschaft vieler wertvoller und ausgezeichneter Menschen, welche in diesen Dingen an alten Gewohnheiten hängen, auszuschließen. Es würde mir auch entschieden widerstrebt haben, sie solchen Unannehmlichkeiten auszusetzen, und nachdem es sich durch sieben Monate im intimen Umgang erwiesen hatte, daß unsere Lebensgewohnheiten harmonierten, so schien es, daß keiner von uns viel dabei wagen würde, wenn wir uns den Konsequenzen des Gesetzes unterwarfen, das für England die Beziehungen der Gatten regelt.«
Er lieh sich von einem wohlhabenden Freund Geld, um ihre Schulden zu bezahlen, was sie widerwillig zuließ. Am 29. März ließen sie sich in der St. Pancras Old Church trauen. Nach Panc. , wie es in seinem Tagebuch lakonisch heißt, gingen sie beide in ihre Wohnungen, und er machte und empfing noch einige Besuche. Ein paar Tage später bezogen sie ein gemeinsames Haus im Grünen, das zu einer neuen großen Wohnanlage gehörte. Außerdem mietete sich Godwin (»zu große Vertrautheit ist der Tod eines glücklichen Miteinander«) noch ein Arbeitszimmer auswärts, die letzte Enklave des so lange verteidigten Junggesellendaseins.
Die Nachricht von dieser Verbindung erregte ziemliches Aufsehen. Manche erkannten ihren epochalen Charakter wie Füssli, der einen Freund fragte, ob er schon gehört habe, daß die assertrix of female rights dem balancier of political justice ihre Hand gegeben habe. Manche fanden sie skandalös. Wie Mary vorausgesehen hatte, machte gerade der Schritt in die Bürgerlichkeit ihre bisherigen unordentlichen Verhältnisse amtlich. Sie verlor einige Bekannte, und Godwin war natürlich mitbetroffen. Daß seine besten Freundinnen – Mrs. Siddons und Mrs. Inchbald alias Mrs. Perfection – den Umgang mit ihr verweigerten, hat ihn sehr gekränkt.
Mary, Maria, Mary
»Sie war sechsundzwanzig Jahre alt, doch war sie von Natur aus so gesund, daß die Zeit ihrem Gesicht nur den Stempel ihres Charakters hatte aufprägen können. Ständiges Nachdenken und die Erfahrung liebender Gefühle hatten etwas vom schelmischen Reiz der Unschuld verscheucht und unmerklich jene Unregelmäßigkeit der Züge hervorgebracht, die der Kampf der Vernunft, die heftigen Empfindungen des Herzens zu deuten und zu beherrschen, gewöhnlich hinterläßt. Gram und Sorge hatten die leuchtenden Farben der Jugend gemildert, jedoch nicht gelöscht, und die Nachdenklichkeit beeinträchtigte die weibliche Sanftheit ihrer Züge keineswegs; im Gegenteil, so stark war der Ausdruck der Empfindsamkeit, der häufig darüberhuschte, daß sie dann, wie ein
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