Auf in den Urwald (German Edition)
eingepackt. Und mein Tagebuch mitgenommen.«
»Tagebuch?«, staunte Mirja.
»Wenn Wilfried etwas Schönes einfällt, dann schreibt er es in sein Tagebuch. Damit er sich immer erinnern kann.«
Mirja lächelte. Der Mensch war ziemlich seltsam. Einen tagebuchschreibenden Mitfahrenden hatte es auf der Geisterbahn jedenfalls bis jetzt noch nicht gegeben. Aber er war irgendwie sympathisch. So anders. So als könnte er trotz seiner beeindruckenden Größe keiner Fliege etwas zuleide tun.
»Und wie ist es mit Kleidung: Hemden, Unterwäsche, Hose?«, fragte sie.
Wilfried schüttelte den Kopf.
»Dann werden wir dir später etwas besorgen.« Sie betrachtete ihn noch einmal von oben bis unten. Das würde bei dieser Größe bestimmt nicht einfach werden. Aber sie würde schon etwas finden. Mirjas Mutter hatte stets für die Sachen der Mitfahrenden gesorgt, das war einfach so üblich auf der Kirmes. Die meisten, letztens zum Beispiel auch Berthold, kamen gerade aus dem Gefängnis oder hatten ihr ganzes Hab und Gut verloren.
»Warst du im Knast?«, fragte Mirja mehr nebenbei.
»Wo bitte?«, fragte Wilfried verunsichert zurück.
»Ich meine, im Gefängnis.«
Wilfried schüttelte heftig den Kopf und schaute Mirja mit großen Augen an.
»Ist in Ordnung. Vergiss es, Wilfried. War nur eine Frage. Hast du noch genug Geld?«
Wilfried suchte seine Hosentasche ab und fingerte einen Fünfeuroschein heraus.
»Das ist nicht gerade viel. Heute Abend machen wir den Vertrag, da kriegst du auch einen Vorschuss. Dort steht unser Wohnwagen. In einer halben Stunde gibt es Mittagessen. Dann müssen wir sofort weitermachen. Wir sind nämlich schon arg verspätet. Bis gleich!« Mirja sprang aus dem Mannschaftswagen und lief zum Wohnwagen.
Wilfried schaute ihr nach, dann sah er sich in dem Wagen um. Hier war es sehr unordentlich, das mochte Wilfried nicht. Er würde gleich erst einmal aufräumen. Aber vorher musste er noch etwas in sein Tagebuch eintragen, denn heute war ein wirklich glücklicher Tag. Den ganzen Vormittag hatte Wilfried mit sich gerungen, ob er für die letzten fünf Euro etwas zu essen kaufen oder lieber einmal noch Geisterbahn fahren sollte. Wie gut, dass er sich für die Geisterbahn entschieden hatte! Er hatte eine Arbeit, würde viel Geld bekommen und er hatte jetzt auch ein richtiges Bett, das zwar nicht viel länger war als die Parkbank, dafür aber weicher.
Wilfried setzte sich hinter den Tisch, was bei seiner Größe nicht ganz einfach war, holte das Tagebuch aus der Jackentasche, überlegte kurz und schrieb dann: »Montag. Arbeit und viel Geld, so es Wilfried toll gefällt!«
Edek staunte nicht schlecht, als ihm Mirja beim Mittagessen den Riesen als neuen Mitfahrenden vorstellte. Ausgerechnet diese Schlafträne, der sogar im Stehen die Augen zufielen! Edek musterte Wilfried, während er den Bohneneintopf wie immer schnell und laut schlürfend in sich hineinlöffelte. Der Riese saß kerzengerade am Tisch, hielt den Suppenlöffel in seinen prankenartigen Händen wie ein feiner Herr einen Kaffeelöffel hält, nämlich mit dem abgewinkelten kleinen Finger, aß langsam und bedächtig, schlürfte nicht, und wenn sich seine und Edeks Blicke trafen, lächelte er freundlich.
Unwillkürlich richtete Edek sich auf. Schluss mit dem Versteckspielen! Am besten, er machte gleich klar, wer hier das Sagen hatte.
»Hast du schon mal auf Geisterbahn gearbeitet?«, fragte er.
Wilfried lächelte. »Nein, Wilfried ist immer nur in der Geisterbahn gefahren. Das war lustig!«
Edek schob ein paar Löffel in sich hinein. Lustig fand der Mensch das, unglaublich.
»In Geisterbahn fahren ist anders, als in Geisterbahn arbeiten. Das ist gar nicht lustig«, rückte Edek die Dinge zurecht.
Wilfried lächelte verunsichert. »Nein, arbeiten ist gar nicht lustig«, wiederholte er.
»Es muss alles schnell gehen. Und ordentlich!«
»Ja, schnell und ordentlich«, stimmte Wilfried zu.
Edek nickte zufrieden. So war es recht. Er löffelte den Eintopf rasch zu Ende, stand dann auf und sagte: »Okay, wir fangen jetzt an!«
Wilfried schaute auf seinen Teller. Er hatte gerade erst die Hälfte geschafft und sein Magen knurrte immer noch gewaltig. Aber Edek war schon aus der Tür.
Wilfried betrachtete den Teller, schaute Edek hinterher und betrachtete wieder den Teller. Seine Stirn legte sich in Falten. Dann fasste er einen Entschluss. Er leckte den Löffel ab, stand auf, steckte ihn in die Hosentasche und nahm den Teller in die Hand.
»Wo willst
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