Auf in den Urwald (German Edition)
vor allem ihr Vater, kamen mit dem Abbauen nicht nach. Zwar befand sich die Grundkonstruktion der Geisterbahn auf einem Tieflader, sie musste nur noch entsprechend zusammengeklappt werden, aber Teile der oberen Aufbauten, die Figuren und all die anderen Sachen, die bewegt wurden, mussten vorher entfernt worden sein. Dabei durfte man sie nicht einfach irgendwo hinstellen, sondern musste sie nach einem ausgeklügelten Plan auf einem zweiten Tieflader unterbringen.
Doch schon bei der ersten Attraktion, dem »Toten Mann«, gab es Probleme. Der Sarg, der die ganze Federkonstruktion in sich barg, die den Sargdeckel öffnete und den »Toten Mann« nach oben schnellen ließ, war sehr schwer. So schwer, dass Mirja, die Edek beim Tragen half, ihn schon nach kurzer Zeit wieder abstellen musste.
»Es hat keinen Zweck«, sagte sie resigniert. »Allein schaffen wir es nicht. Für mich sind die Sachen zu schwer und Vater brauchen wir erst gar nicht zu fragen. Ich besorge jetzt etwas zum Mittagessen, dann müssen wir sehen, wie es weitergeht.«
Edek wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Vielleicht hilft jemand von anderes Geschäft?«, dachte er laut nach.
»Von den anderen Geschäften? Nein. Da hilft uns keiner. Auf der Kirmes kämpft jeder für sich. Es gibt eh zu wenig Leute, damit brauchen wir erst gar nicht anzufangen. Manchmal hat man Glück bei der Arbeitsagentur. Ich rufe nach dem Essen mal da an.«
Mirja machte sich auf den Weg nach unten und verließ die Geisterbahn durch das Einfahrtstor.
Da sah sie ihn wieder. Den Riesenmenschen von gestern. Er stand am Kassenhäuschen, die Plastiktasche in der Hand, schaute zu dem Affen hoch und lächelte verträumt.
»Ich weiß«, sagte er, als er Mirja entdeckte, »die Geisterbahn öffnet erst um ein Uhr!«
Mirja schüttelte den Kopf. Hatte der Mensch denn überhaupt nicht mitbekommen, dass auf der Kirmes alles vorbei war?
»Es gibt heute keine Fahrten mehr«, sagte sie. »Die Geisterbahn wird abgebaut. Die Kirmes ist zu Ende.«
»Oh«, sagte der Riese sichtlich enttäuscht.
»Im nächsten Jahr sind wir wieder hier. Vielleicht ...«, meinte Mirja, der der Riese irgendwie leidtat. Dann ging sie weiter.
»Auf Wiedersehen ...«, rief ihr der Riese hinterher. Er klang wirklich sehr traurig.
Mirja blieb stehen.
Die Plastiktüte! Immer stand der Riese mit seiner Plastiktüte da und seine Sachen sahen reichlich zerknittert aus. Womöglich kam er gerade aus dem Gefängnis oder sonst woher ...
Sie machte wieder kehrt.
»Die Geisterbahn wird abgebaut«, sagte sie, »aber wir suchen jemanden, der uns hilft.«
Der Riese lächelte erfreut. Mirja wusste nur noch nicht, warum. Weil er helfen wollte oder einfach, weil sie zurückgekommen war.
»Wir suchen einen Arbeiter, der gut zupacken kann«, sagte sie. »Suchen Sie Arbeit?«
Die Augen des Riesen weiteten sich. »Ja!«
»Und wie heißen Sie?«
»Ich heiße Wilfried Jagenberg«, sagte der Riese höflich.
»Und wo wohnen Sie?«
Wilfried überlegte. »Ich wohne nirgendwo. Ich habe am Fluss geschlafen. Auf einer Bank.«
»Also ohne festen Wohnsitz.«
Wilfried schaute sie erstaunt an.
»Ich meine, Sie sind von zu Hause weg, oder?«
Das stimmte nun, und Wilfried nickte heftig.
»Dann kannst du ja mit uns kommen«, wechselte Mirja zum Du. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dem Riesen mache es nichts aus, sofort geduzt zu werden. Außerdem duzten sich sowieso alle, die in einem Geschäft arbeiteten. »Ich heiße Mirja Schneider, aber du kannst einfach Mirja zu mir sagen.« Sie reichte ihm die Hand und lächelte ihm zu.
Wilfried ergriff vorsichtig die Hand und sagte: »Einfach Mirja.«
»Genau. Wir zahlen übrigens 600 Euro im Monat, dazu Essen und Schlafen frei.«
600 Euro! Wilfried überlegte. Es musste viel Geld sein, denn er konnte es sich gar nicht vorstellen. Für so viel Geld konnte er bestimmt mit dem Flugzeug zu Onkel Ludwig fliegen.
Sein Gesicht erstrahlte. »Ich will arbeiten«, sagte er entschlossen.
»Gut. Hast du schon etwas gegessen?«
»Nein.«
»Dann komm mit, ich zeig dir den Mannschaftswagen.«
Mirja ging los, Wilfried hinterher, mit kleinen, beinahe tänzelnden Schritten, damit er sie nicht überholte.
»So, hier kannst du wohnen«, sagte Mirja, als sie im Mannschaftswagen angekommen waren. »Deine Sachen verstaust du oben in den Schränken.« Sie warf einen Blick auf die Plastiktüte. »Viel hast du ja nicht dabei.«
»Ich habe meinen Schal, meine Zahnbürste und meinen Rasierapparat
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