Auf in den Urwald (German Edition)
auf Leiter hoch, winkt mit Messer und ruft: ›Kommst du wohl zurück, du Säufer!‹ Der Mann denkt: Gleich macht sie mich mit Messer tot! Da sieht er den Schornstein. Und was macht der Verrückte? Er springt rein und rutscht bis in Keller in schwarzes Rußloch. Unten, in der guten Stube, schreien alle Leute, denn aus Kachelofen fliegt ganzes Ruß und macht alles schwarz, die Leute, die Tische, die Wände, alles!
Später haben sie den Mann mit Axt und Schaufel aus dem Rußloch geholt. Alle dachten, er ist tot, aber Mann lebte. Seitdem hat er nur noch in Kirche gesessen und dem lieben Gott für sein Leben gedankt. Nichts hat er mehr getrunken, nicht eine kleine Schnaps!«
»Und das ist eine wahre Geschichte?«
»Ja, haben sie sogar in Zeitung geschrieben. Wie stand da noch mal? ›Rutsch durch Schornstein in neue Jahr‹.«
»Du meinst bestimmt: ›Neujahrsrutsch durch den Schornstein‹.«
»Genau. Meine Mutter hat Zeitung aufgehoben, in Fotoalbum geklebt, mit Fotografie von Mann.«
»Deine Mutter? Ins Fotoalbum?«
»Ja, weil die Frau ist meine Mutter und der Mann ist meine Vater. Sieht auf Fotografie aus wie schwarze Teufel aus Hölle. Alle haben im Dorf gelacht. Aber er sagt, es war ein Wunder von Gott, der ihn retten wollte von verfluchte Schnaps!«
»Schade, dass wir im Wohnwagen keinen Schornstein haben«, meinte Mirja.
»Wird ein anderes Wunder passieren. Man muss immer fest glauben, bestimmt. Und Jeschke kriegt Geisterbahn nicht, dieser Bandit. Mir wird schon was einfallen. Vielleicht gibt mir eine Bank Geld.«
»Du bist lieb«, sagte Mirja, die nach der Geschichte von Edeks Vater ein wenig bessere Laune bekommen hatte. »Aber du hast doch selber einen Haufen Schulden, wer gibt dir schon Geld?«
»Nur noch 25.000 Euro, da kann ich noch mehr Schulden haben, kein Problem.«
»Nein, nein. Von dir würde ich das Geld eh nicht nehmen. Das muss irgendwie anders gehen. Ich muss noch mal mit Jeschke reden. Vielleicht kann man ihm klarmachen, dass die Geisterbahn ein totales Risiko ist, was sich für ihn nicht lohnt. Oder ich muss noch mal mit der Sparkasse in Renzberg reden. Wenn die uns letztes Jahr Geld für 15 Prozent geben wollten, warum nicht auch dieses Jahr? Und wenn es meinetwegen 20 Prozent sind. Irgendwie werden wir das schon schaffen.«
Mirja legte ihren Kopf zurück auf Edeks Schultern. Eine lange Zeit saßen beide so umarmt, als plötzlich der Wagen erbebte und Wilfried hereinkam. Im ersten Augenblick fühlte sich Edek ertappt und wollte Mirja loslassen. Aber Mirja umarmte ihn nur noch fester und blieb auf seinem Schoß sitzen.
Wilfried sagte nichts. Er schaute kurz auf Edek und Mirja, runzelte die Stirn, lächelte, nahm dann etwas aus der Schublade und verließ wieder den Wagen.
»Der ist in Kopf nicht normal«, stellte Edek fest.
»Ja, aber er ist mir lieber, als all die anderen, die wir vorher hatten. Die haben uns Geld aus der Kasse geklaut, Schlägereien angezettelt und weiß ich was alles ... Der ist wenigstens ehrlich, arbeitet für drei und hat immer gute Laune.«
»Aber Wilfried schreibt in Tagebuch ...«, gab Edek nicht auf.
»Hab ich früher auch mal gemacht.«
»Ja, aber er schreibt so komische Sachen.«
»Was für Sachen?«
»Soll ich Tagebuch holen?«
»Nein, nicht. In einem fremden Tagebuch darf man nicht lesen.«
»Ich hab ihn gefragt: ›Warst du schon mal verliebt?‹ – ›Ja‹, sagt er, ›Vater und Mutter hab ich geliebt!‹«
»Und? Ich hab meine Mama auch geliebt, und meinen Vater lieb ich auch. Liebst du deine Eltern nicht?«
»Schon, ja ... wie ich Kind war.«
»Und jetzt nicht mehr?«
»Ja, aber anders.«
»Anders oder so, ist doch egal. Liebe kann ganz verschieden sein.«
»Gut, aber jetzt bin ich groß ...«
»Nein, ganz klein.«
»Nein, ganz gro...«
Edek konnte nicht mehr weitersprechen, denn Mirja küsste ihn. So zärtlich und so weich wie vorgestern Nacht und auch gestern Nacht.
»Siehst du, wie klein du bist«, sagte sie nach einer ganz langen Weile. »Noch nicht einmal sprechen kannst du!«
»Nein, noch nicht einmal sprechen kann ich«, wiederholte Edek und wollte Mirja weiterküssen, aber da kam Wilfried wieder zurück.
Mirja stand auf und sammelte ihre Sachen zusammen. »Ich kümmere mich jetzt um das Essen und dann sehen wir weiter«, sagte sie. »In einer Dreiviertelstunde könnt ihr kommen.«
»Hast du gesehen«, sagte Edek zu Wilfried, als Mirja gegangen war, »wie man es muss mit Frauen machen?«
»Ich habe es gesehen.
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