Auf in den Urwald (German Edition)
Mirja saß auf deinem Schoß. Du liebst Mirja!«, sagte Wilfried. Dann erstrahlte sein Gesicht. »Wilfried liebt Mirja auch!«
»Was???«
»Mirja ist ein lieber Mensch.«
»Pass mal auf!« Edek sprang auf. »Nur ich liebe Mirja, du nicht!«
Wilfried blinzelte erstaunt. »Aber Mirja ist immer ganz lieb zu Wilfried. Und Wilfried ist ganz lieb zu Mirja!«
»Okay, Wilfried, ist gut ...« Edek setzte sich wieder. Es würde ihm eh nicht gelingen, dem Verrückten klarzumachen, was er meinte. »Du liebst Mirja und ich liebe Mirja ... Aber nur ich darf Mirja anfassen, du nicht!«
Wilfried betrachtete seine Hände. »Nein, Wilfried darf Mirja nicht anfassen. Wilfried hat ganz schmutzige Hände!«
»Ja, schmutzige Hände! Hast du wieder in Sandkasten gespielt? Mit kleine Eimer und Schaufel?«, giftete Edek zurück.
»Nein, ich habe die taraxacum officinale ausgegraben.« Wilfried lächelte zufrieden.
»Die was???«
»Die taraxacum officinale , den Löwenzahn. Der fängt gerade an zu blühen.«
»Und warum hast du Löwenzahn ausgegraben?«
»Weil er unter dem Tieflader stand. Du hättest ihn bestimmt kaputt gefahren. Jetzt wächst er hinter der Geisterbahn, dort kann ihm nichts passieren. Und er steht schön in der Sonne.«
»Der Löwenzahn?«
»Ja, er wird bald blühen, vielleicht schon nächste Woche. Dann können wir uns freuen.«
Eine Weile betrachtete Edek ungläubig Wilfried, wie er voller Freude über den geretteten Löwenzahn nachdachte. Normal war das nicht. Ganz und gar nicht. Der Kerl war offensichtlich mehr als verrückt.
»Äh, Wilfried«, fragte Edek, »woher kennst du so komisches Wort wie taxum und so weiter?«
» Taraxacum officinale !«
»Egal.«
»Die habe ich bei meinem Papa gelernt. Er war Wissenschaftler. Er hat über Pflanzen geforscht.«
»In Urwald, was? Mit deine Onkel Ludwig?«, lachte Edek.
»Woher weißt du das?«, staunte Wilfried.
»Hast du mir schon erzählt. Von Onkel Ludwig und Affen und Krokodile. Wie in Zoo, nicht wahr?«
»Nein, im Urwald!«, wehrte sich Wilfried.
»Meinetwegen«, sagte Edek. »Zoo, Urwald, Mond, egal ...«
»Nein, nicht egal!«, sagte Wilfried entschieden, beinahe ein wenig erbost.
»Gut, Urwald!«, gab ihm Edek endgültig recht. Aber es wurmte ihn schon ziemlich, dass er sich wieder einmal von einem Verrückten hatte sagen lassen, was richtig und was falsch war. Und deshalb fragte er so mehr nebenbei: »Und wenn ich gehe zu Geisterbahn und trete mit meine Fuß auf deine schöne Löwenzahn?«
»Dann ist der Löwenzahn tot und ich werde ganz traurig sein. Ganz, ganz traurig!« Wilfried war sehr enttäuscht und machte ein Gesicht, als müsste er tatsächlich gleich weinen.
»Okay«, sagte Edek, der jetzt endgültig seine Ruhe haben wollte, »ich pass auf Löwenzahn auf wie Mutter auf Kind ...«
»Bestimmt?«
»Ehrenwort von Gringo Edek.«
»Das ist schön«, sagte Wilfried und atmete erleichtert auf. »Und jetzt zeige ich dir, wo ich den Löwenzahn eingepflanzt habe, ja?«,
»Nein, ich hab keine Lust ...«
»Schade«, sagte Wilfried. Dann fiel ihm etwas ein. »Vielleicht will Mirja sehen, wo der Löwenzahn wächst? Ich gehe und frage sie!« Er verließ den Wohnwagen.
»Äh, warte!«, stürzte ihm Edek hinterher. »Ich komm schon mit! Ich hab doch Lust auf deine Löwenzahn!«
Wilfried nickte erfreut und ging schneller. »Der Löwenzahn lässt noch ein bisschen den Kopf hängen«, meinte er, als sie an der Geisterbahn angekommen waren, »aber bald wird er aufgehen. Schön gelb. So wie die Sonne!«
· 4 ·
D ie untere Plane, die das Gestell schützte und vor allem die Geisterbahn verdunkelte, war ringsherum aufgeschlitzt. Edek hatte es beim Anziehen entdeckt, als er zufällig aus dem Fenster geschaut hatte. Nun standen Mirja, Wilfried und er davor und begutachteten den Schaden.
»Ist mit Messer gemacht, genau wie in München Reifen an Tieflader«, stellte Edek fest. »Das war bestimmt Berthold. Dem hat Jeschke gesagt: ›Geh, und mach Plane kaputt.‹ Ich schlag ihm gleich alle Zähne aus dummes Maul!«
»So eine Schweinerei!« Auch Mirja war außer sich.
Wilfried sagte nichts. Er schaute nur ganz ernst.
»Und an Seite ist auch alles kaputt«, verkündete Edek und ging los. Die anderen folgten ihm.
»Hier«, Edek zeigte auf die halb herabhängende Plane, »in Nacht ist Berthold gekommen, er hat ein Springmesser, ich hab Messer oft bei ihm gesehen, und hat alles geschnitten!«
»Oh!« Wilfried ging plötzlich in die Hocke.
Weitere Kostenlose Bücher