Auf in den Urwald (German Edition)
»Der Löwenzahn ist kaputt!«
»Ja, auch das war Berthold. Draufgetreten auf deine schöne Blume. Wird nicht mehr blühen, Wilfried, aus und vorbei! Jetzt kannst du weinen!«
Wilfried fuhr mit dem Zeigefinger über den abgeknickten Löwenzahn und schüttelte traurig den Kopf.
»Und Papa schläft weiter, kümmert sich um nichts«, sagte Mirja enttäuscht.
»Soll ich gehen wecken?«, fragte Edek.
»Ach, das hat keinen Zweck. Los, wir gehen jetzt zum Jeschke. Ich werde mit ihm reden, so geht das nicht weiter!«, entschied Mirja.
Edek und sie machten sich auf den Weg. Wilfried blieb. Er grub den Löwenzahn aus und betrachtete die abgeknickte Stelle und die Wurzel. Die Wurzel sah noch ganz gesund aus. Die abgeknickte Stelle hatte keinen Riss. Das war gut. Vielleicht gelang es ihm, den Löwenzahn zu retten. Er hatte früher oft gesehen, wie sein Vater Pflanzen impfte, um sie zu veredeln, und hier war es so ähnlich. Wenn er die abgeknickte Stelle ausrichtete und mit einem Verband befestigte, dann konnte der Löwenzahn die Ernährung der Blüte wieder fortsetzen. Auf jeden Fall musste jetzt schnell gehandelt werden, denn der Stängel sah im Gegensatz zur Wurzel schon ziemlich ausgetrocknet aus. Wilfried sprang auf und rannte zum Mannschaftswagen. Er öffnete die Tür des Schranks, der ihm gehörte, fand dort aber keinen Verband. Wilfried schaute sich in dem Wohnwagen aufmerksam um. Das rote Tuch! Es lag auf Edeks Stuhl. Sonst trug er es immer um den Hals, aber heute hatte er es vergessen. Wilfried nahm das Tuch in die Hände. Es war schön weich und hielt bestimmt gut die Feuchtigkeit. Edek würde sicherlich nichts dagegen haben, wenn er das Tuch nahm. Schließlich hatte er sich gestern auch darüber gefreut, dass Wilfried den Löwenzahn gerettet hatte.
Vorsichtig riss Wilfried ein längeres Stück quer von dem roten Tuch ab und wickelte es um den Löwenzahn. Dann nahm er einen Zahnputzbecher, füllte ihn mit Wasser und stellte den Löwenzahn hinein. Schön sah er jetzt aus. Wie jemand, der verwundet worden war und den Wilfried vor dem Verbluten gerettet hatte.
Beinahe sah es so aus, als hätte Jeschke Mirja erwartet. Er saß nämlich im Wohnwagen hinter dem Tisch unmittelbar gegenüber der Tür, rauchte eine Zigarre, lächelte scheinheilig und bot den beiden mit einer ausladenden Geste Platz an.
Mirja schüttelte den Kopf und blieb stehen. »Die Schweinereien gehen zu weit!«, sagte sie wütend.
»Erst einmal einen schönen guten Tag«, sagte Jeschke mit einem zurechtweisenden Ton in der Stimme.
»Den schönen Tag können Sie behalten«, meinte Mirja. »Ich meine den zerstochenen Reifen in München und heute Nacht die zerschlitzte Plane.«
Jeschke streifte vorsichtig die Asche der Zigarre in dem großen, kristallenen Aschenbecher ab und machte ein verwundertes Gesicht. »Zerstochener Reifen? Zerschlitzte Plane? Wer macht denn so was?«
»Sie!«
»Gott bewahre! Ich weiß nachts wirklich Besseres zu tun, als Reifen zu zerstechen.«
»Sie stechen nicht in Reifen. Aber Sie sagen Berthold, er soll Messer nehmen und Reifen kaputt machen!«, stellte Edek fest.
»Berthold? So einer ist das also? Hätte ich nicht gedacht, wirklich. Der sieht so harmlos aus, als könnte er keinem ein Härchen krümmen.«
»Tun Sie doch nicht so unschuldig. Beim Berthold genügt ein kleiner Wink, der wartet doch nur auf so eine Gelegenheit!«
»Das haben wir gleich«, sagte Jeschke. Er griff neben sich auf die Bank, wo das Handy lag, und wählte eine Nummer. »Jeschke hier. Berthold soll zu mir kommen, sofort«, sagte er knapp, als sich am anderen Ende jemand meldete.
Wenige Augenblicke später kam Berthold.
»Berthold, hast du auf der Geisterbahn die Plane aufgeschlitzt?«, fragte Jeschke.
»Ich? Welche Plane?«
»Tu doch nicht so«, sagte Mirja. »In München hast du nachts den Reifen am Tieflader zerstochen und heute die Plane ringsum aufgeschlitzt!«
»Heute Nacht hab ich geschlafen, ich weiß nichts von einer Plane. Und was in München war, weiß ich auch nicht. Was wollen die eigentlich von mir, Chef?«
»Tja«, meinte Jeschke, »hier steht, wie man so schön sagt, Aussage gegen Aussage. Aber wir können das Problem ganz schnell lösen. Gibt es irgendwelche Zeugen? Hat jemand Berthold gesehen?«
»Nein«, sagte Mirja, »gesehen hat natürlich keiner was.«
»Na, dann ist ja die ganze Geschichte schon erledigt. Du kannst wieder an die Arbeit gehen, Berthold.«
»Jawohl, Chef«, sagte Berthold, grinste schief und
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