Auf in den Urwald (German Edition)

enthielt nichts außer einer Klemmmappe, in der ein Blatt Papier steckte. Edek hielt es ein wenig schräg, sodass er es in dem schwachen Licht lesen konnte.
    Es war ein Formular.
    »Gerichtsmedizinisches Institut, Stadt Augsburg«, stand dort ganz oben und weiter unten, in den entsprechenden Spalten: »Lieferung Nr. 105, An: Universitätsklinik München, Abteilung Humanmedizin, Präparationskurs Prof. Dr. E. Schmidt. Name: Unbekannt. Vorname: Unbekannt. Geburtsdatum: Unbekannt. Todesursache: Ertrinken. Freigegeben von der Staatsanwaltschaft aufgrund § 122, Abs. 4 (medizinische Übungen am Objekt zu Lehr- und Forschungszwecken), Konservierungsstoff: Formalin ...«
    Das genügte. Schlagartig wurde Edek dreierlei klar: Erstens hatte er den falschen Transporter gestohlen, zweitens war der grinsende Tote mehr als tot und drittens musste er hier weg, und zwar ganz schnell!
    »Los, Wilfried, wir hauen ab!« Edek warf die Klemmmappe in die Ecke und war im nächsten Augenblick schon draußen.
    »Warte!«, rief Wilfried. Er klappte den Deckel des Blechbehälters herunter und begann die Flügelschrauben zuzuschrauben.
    »Was machst du da?«, rief Edek ungeduldig zurück.
    Wilfried biss sich auf die Zunge und mühte sich, die Schrauben schneller zu drehen.
    »Wilfried, bist du verrückt? Lass Schrauben und komm!«
    »Gleich«, sagte Wilfried, »sonst fällt Onkel Ludwig raus!«
    »Wo fällt Onkel Ludwig raus?«
    Wilfried antwortete nicht. Er hatte die Schrauben angezogen, packte den Blechbehälter mit seinen riesigen Armen wie eine kleine Brotdose und verließ mit eingezogenem Kopf den Transporter. »Jetzt können wir gehen!«, sagte er und stakste los.
    Edek blieb wie angewurzelt stehen. Er war doch in einem Traum. Einem Irrenhaustraum, der anscheinend nicht enden wollte, egal, wie er sich mühte!
    Wilfrieds Gestalt entfernte sich immer mehr, das Geräusch seiner schweren Schritte verschwand schon im Rauschen des Flusses. Gleich würde er die Straße erreichen und dann ...
    Edek gab sich einen Ruck, rannte los und holte Wilfried ein.
    »Wilfried!!!«, schrie er ihn an.
    »Ja?«
    »Wo willst du hin mit tote Mann?«
    »Nach Hause«, sagte Wilfried.
    »Wo nach Hause???« Edek schrie immer lauter.
    Wilfried blieb stehen. Edek hatte recht, in der Tat. Wenn Onkel Ludwig jetzt tot war, dann musste er in einen schönen Sarg gelegt und beerdigt werden. Und auf dem Grab mussten viele wundervolle Blumen liegen. Ein ganzes Meer davon ...
    »Wilfried!«
    Wilfried kam zu sich. »Ich muss Onkel Ludwig nach Bonn bringen«, erklärte er.
    »Nach wo???«
    »Nach Bonn. Dort kommt er in das Grab zu Papa, zu seinem Bruder, und zur ...«
    »Bonn, Wilfried?«, unterbrach ihn Edek schreiend. »Weißt du, wo Bonn ist? Nach Bonn muss man mit Auto fahren!«
    Wilfried schaute hinter sich, zu dem Transporter.
    »Nein. Nicht mit Transporter! Transporter ist geklaut! Bestimmt sucht schon die Polizei. Wir kommen ins Gefängnis!«
    »Ins Gefängnis?«, erschrak Wilfried. »Aber ich habe den Transporter nicht gestohlen. Du hast gesagt, dass wir ihn verstecken wollen, und später hast du mir versprochen, dass wir eine Rallye bis Rio de Janeiro machen!«
    »Das war nur große Spaß! Denk doch in deine verrückte Kopf einmal nach! Nach Rio de Janeiro kann man nicht mit Transporter fahren! Kann Transporter über Meer schwimmen?«
    »Nein. Aber ich will auch gar nicht mehr nach Rio de Janeiro«, sagte Wilfried, um Edek zu beruhigen. »Onkel Ludwig ist ja jetzt bei mir. Ich muss ihn nicht mehr im Urwald suchen.«
    Edek hatte das Gefühl, er müsste gleich durchdrehen. »Wie kommt deine Onkel Ludwig von Urwald nach Augsburg, Wilfried, wie? Sag, sonst reißt Edek dir Kopf ab!«
    »Bestimmt mit einem Flugzeug«, erklärte Wilfried rasch, aus Angst, der wütende Edek könnte seine Drohung wahr machen.
    »Mit Flugzeug? Ha!«, tobte Edek. »In Papiere steht: Name unbekannt, alles unbekannt, toter Mann ist ertrunken! In Flugzeug, was?«
    »Wenn Onkel Ludwig ertrunken ist, dann in einem Fluss. Er wollte sicherlich jemanden retten«, sagte Wilfried stolz. »Wie damals, als das Boot auf dem Amazonas umkippte und Wilfried und Mama und Papa ...«
    »Wilfried!« Edek ließ ihn nicht ausreden. »Hör Edek endlich zu! Das ist nicht deine Onkel Ludwig! In Papiere steht: Name unbekannt, alles unbekannt! Deine Onkel lebt in Urwald bei Affen und morgen gibt dir Edek 2.000 Euro und du kannst fliegen nach Urwald. Und jetzt, Wilfried, leg toten Mann zurück in Auto und wir laufen