Auf in den Urwald (German Edition)
weg!«
»Nein, das ist mein Onkel Ludwig.« Wilfried blieb stur. »Ich kenne meinen Onkel, ich habe ein Foto im Wohnwagen. Onkel Ludwig kommt mit!«
Edek wollte wieder losschreien, aber plötzlich – er wusste gar nicht, wie ihm geschah – fühlte er sich wie leer gefegt. Sekundenlang starrte er Wilfried an, der entschlossen den Blechbehälter umklammerte, und nach und nach wurden seine Gedanken so kalt, wie der Wind, der jetzt wieder aufkam und der ein paar neue Regentropfen brachte. Er saß in der Falle. Daran gab es keinen Zweifel. Durch irgendeinen verfluchten Zufall hatte er den falschen Transporter gestohlen und einen toten Onkel gleich dazu. Das war zwar unglaublich verrückt, aber wahr. Nach dem Transporter und nach dem toten Onkel suchte bestimmt schon die ganze Augsburger Polizei. Es konnte sich also nur noch um eine ganz kurze Zeit handeln, bis man sie hier auf dem Parkplatz fand, verhaftete und ins Gefängnis warf. Ihn, Edek, der nur an dem Banditen von Jeschke Gerechtigkeit üben wollte, für Mirja, die er über alles in der Welt liebte. Wie viel Jahre bekam man für einen gestohlenen Transporter mit einem Toten? Fünf, zehn, lebenslang?
Er musste hier weg, und zwar ganz schnell. Mit dem verrückten Wilfried und seinem toten Onkel Ludwig. Morgen früh wurde die Kirmes abgebaut und dann ging es weiter nach Pforzheim. Dort würde er den Toten schon noch loswerden. Irgendwie. Wenn der Irre, der immer noch regungslos vor ihm stand, nachts schlief, würde er den Toten packen und auf dem erstbesten Friedhof aussetzen. Wo er auch hingehörte. Er war schon in viel schlimmeren Situationen gewesen und hatte immer seinen Kopf aus der Schlinge gezogen. Immer! Wäre doch gelacht, wenn er sich ausgerechnet von einem Verrückten in die Knie zwingen ließ. Wirklich gelacht!
Edek prustete unwillkürlich los. Wilfried rührte sich erstaunt.
»Okay, Wilfried«, sagte Edek, wobei es ihm schwerfiel, das Glucksen, das seinen Bauch erschütterte, zu unterdrücken. »Deine Onkel Ludwig kommt mit zu Kirmes. Pack Behälter zurück in Transporter. Wir fahren!«
Wilfried räusperte sich überrascht. »Danke«, sagte er, »das ist sehr lieb, wirklich sehr lieb von dir, Edek! Und gleich morgen früh kauft Wilfried für Onkel Ludwig einen Sarg und schöne Blumen ...«
»Edek hat schon ein Sarg für deine Onkel Ludwig«, sagte Edek und klopfte belustigt auf den Blechbehälter.
»Wirklich?«, staunte Wilfried. Gerade erst war Edek wütend gewesen und wollte ihm den Kopf abreißen und nun war er fröhlich und gab sich solche Mühe.
»Sarg steht schon in Geisterbahn«, fuhr Edek fort. »Wir schmeißen alte ›Tote Mann‹ raus und legen neue tote Mann rein. Ganz einfach!«
»Ja genau!«, begeisterte sich Wilfried. »Dann ist Onkel Ludwig immer dabei, wenn Wilfried arbeitet!«
»Richtig«, stimmte ihm Edek zu. »Wilfried arbeitet mit ›eiskaltes Händchen‹ und Onkel Ludwig arbeitet als ›Toter Mann‹. Ha, ha, ha!« Edek lachte los, dass ihm die Tränen in die Augen schossen.
Dann plötzlich hörte er wie abgeschnitten auf. Irgendwie hatte er ein ganz seltsames Gefühl. So als stehe er neben sich. Als sei er zweimal Edek: ein normaler und ein verrückter. Als sei er ein ganz normaler Verrückter.
· 4 ·
E ine Tür schlug zu und Edek wachte auf. Eine Weile lag er mit offenen Augen da und schaute Wilfrieds Bett an. Das Bett war leer. Also hatte Wilfried gerade die Tür hinter sich zugeschlagen. Sicher war er schon frühstücken gegangen.
Frühstücken?! Edek fuhr hoch. Mit einem einzigen Schlag war er hellwach und erinnerte sich an alles, was in der Nacht geschehen war. Er sprang aus dem Bett. Wenn Wilfried jetzt bei Mirja am Frühstückstisch saß, dann war die Katastrophe sicher schon voll im Gange. Beschäftigt mit dem Wegbringen des Transporters und dem Beseitigen aller Spuren, hatte Edek vollkommen vergessen, Wilfried zu verbieten, über seinen Onkel auch nur ein einziges Wort zu verlieren.
Edek zog sich an, stürzte nach draußen und eilte zum Wohnwagen. Dort fiel ihm ein Stein vom Herzen. Mirja war allein, sie deckte gerade den Frühstückstisch.
»Hallo!«, sagte sie und lächelte. »Komm schnell rein, es ist kalt!«
»Ich hole eben Wilfried«, meinte Edek.
»Willst du mir keinen Guten-Morgen-Kuss geben?«, wunderte sich Mirja.
»Doch ...« Edek kam in den Wohnwagen und küsste sie einmal kurz.
Mirja schaute ihn erstaunt an. Er war nicht wie sonst morgens rasiert, hatte dunkle Ringe unter den
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