Auf in den Urwald (German Edition)
laut.
»Ja, jetzt kann ich Sie verstehen!«
»Okay. Hören Sie gut. Eine Million ist zu wenig. Sie müssen drei Millionen Euro geben!«
Edeks Herz klopfte wild.
»Drei Millionen Euro«, wiederholte Vanessa Jagenberg, aber so, als würde sie die Forderung gar nicht besonders überraschen.
»Ja, drei! Sonst Polizei!«
»Nein, keine Polizei! Drei Millionen gehen in Ordnung!«
»Gut. Ich ru...«
»Warten Sie!«, unterbrach ihn Vanessa Jagenberg. »Quando é donde quer o dinheiro?«
Edek stutzte. Wie sprach Wilfrieds Mutter plötzlich zu ihm? Es hörte sich so ähnlich an, wie bei seinem Onkel an der mexikanischen Grenze. Aber genauso wie dort, verstand er auch hier kein einziges Wort.
»Äh«, stammelte Edek, »äh, wait for my next call. Wednesday at nine o’clock!« Dann hängte er ein.
Der Schweiß rann ihm von der Stirn. Er wusste gar nicht, warum er mit einem Male englisch gesprochen hatte. Es war ihm einfach so rausgerutscht, als befände er sich in der kleinen mexikanischen Bar in Laredo. Wilfrieds Mutter war verrückt. Sie war genauso verrückt wie ihr Sohn. Eine komplett verrückte Familie, ohne jeden Zweifel!
Edek zog die Telefonkarte aus dem Schlitz und steckte sie in sein Portemonnaie. In seinem Kopf schwirrte es. Aber eines war klar. Die drei Millionen hatte Vanessa Jagenberg geschluckt. Ohne ein Wort des Widerspruchs. Also steckte hinter der Geschichte mit dem toten Onkel Ludwig genau das, was er sich gedacht hatte. Edek ballte die Fäuste. Sein Plan funktionierte hervorragend. So gesehen hatte er schon genau den richtigen Transporter gestohlen. Er hatte endlich das Glück mit beiden Händen am Schopf gepackt. Er war einfach der Größte unter den Gringos!
Edek schlenderte langsam zurück zur Geisterbahn. Diesmal nicht versteckt hinter den Geschäften, sondern vorne auf den Wegen, im Schein all der bunten Lichter und zwischen den Leuten, die sich ausgelassen treiben ließen. Gleich, wenn die Kirmes beendet war und er mit Mirja allein im Wohnwagen saß, würde er sie erst einmal lange küssen. Und später, wenn sie wieder eng aneinandergekuschelt unter der Decke lagen, da würde er sie streicheln und davon träumen, was sie alles mit dem vielen Geld machen würden. Dann war er wirklich reich. Der Erste von den Ostermanns, der in Geld badete. Nicht so wie sein Onkel in Texas, der in Briefen mit seinen Reichtümern geprotzt hatte und der sich später als einfacher Vorarbeiter auf einer Ranch entpuppt hatte.
Edek blieb stehen. An der Kasse der Achterbahn wimmelte es vor Leuten, vorne hetzte Berthold von Wagen zu Wagen und sammelte die Chips ein.
»Na, Berthold«, rief Edek, indem er lässig seine Hände in die Hosentaschen steckte, »ganz viel Stress heute bei deine Chef, was?«
Berthold sagte nichts. Er spuckte nur von oben durch seine Zahnlücke, direkt vor Edeks Füße.
»Mach Mund zu, Berthold«, spottete Edek. »Wird sonst alles nass!«
Berthold wartete ab, bis das Signal ertönte und die Wagen losfuhren. Dann sprang er mit einem Satz über das Sicherheitsgeländer und stand vor Edek.
»Pass mal auf, Gringo«, zischte er wütend, »hat dir schon mal jemand richtig die Schnauze poliert?«
»Ne«, meinte Edek, »ich bin schon groß und kann mir Gesicht selber waschen!«
»Dann wart’s ab. Vielleicht brauchst du bald eine neue Fresse!«
»Willst du mir eine kaufen? Wird zu teuer. Kauf erst mal neue Zahn für dich!«
Berthold hielt sich nur mit äußerster Mühe zurück. Das ging entschieden zu weit. Wären sie jetzt allein gewesen, hätte er Edek das Springmesser an die Kehle gesetzt. Aber hier, inmitten all der Leute, konnte er nichts tun. Zudem stauten sich schon wieder die Fahrgäste am Eingang. »Wir sehen uns noch«, drohte er, drehte sich um und ging.
»Bestell deine Chef schöne Grüße von Edek! Wenn du Zeit hast ...«, rief ihm Edek hinterher. Ein armes Würstchen wie Berthold kam einfach nicht mit. Er mochte sich anstrengen, wie er wollte, Edek behielt trotzdem immer das letzte Wort.
Zufrieden und ohne jede Eile ging Edek weiter, kaufte sich an einem Stand eine Portion Pommes und aß sie genüsslich auf. Als er an der Geisterbahn ankam, sah er, dass auch hier noch ordentlich was los war. Die Leute drängelten sich an den Wagen und Wilfried stakste mit dem üblichen Lächeln eilig von Wagen zu Wagen und sammelte eifrig die Chips ein. Für Edek gab es nichts mehr zu tun, als auf das Ende der Kirmes zu warten. Er lehnte sich in den Türrahmen des Kassenhäuschens und
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