Auf in den Urwald (German Edition)
suchen.
»Musst warten, bis Sonne kommt«, sagte Edek. »Oder musst kaufen neues Gebiss für deine dumme Schnauze!«
Er nahm seine Jacke vom Boden auf und ging. Nach ein paar Schritten holte ihn Wilfried ein.
»Äh, noch mal danke«, sagte Edek. »Bist ein guter Freund. Hast mir gut geholfen. Woher hast du gewusst, dass ich mit Berthold kämpfe?«
»Ich habe es nicht gewusst«, meinte Wilfried. »Ich bin nur nach unten gekommen, weil du mir helfen sollst. Der Faden will nicht in das Loch rein.« Er hielt Edek eine Nadel und einen Faden entgegen.
»Wofür brauchst du Faden?«
»Die Jacke von Onkel Ludwig ist wieder kaputt. Ich muss das Loch zunähen.«
»Ist wieder Arm nach oben gekommen und hat Jacke zerrissen?«
Wilfried nickte.
»Ich schraub morgen Ventil wieder fest, jetzt ist zu spät. Komm mit in Wohnwagen. Hier seh ich Loch in Nadel nicht gut.«
Sie gingen in den Mannschaftswagen. Dort fädelte Edek für Wilfried den Faden ein, obwohl seine Hände ziemlich zitterten, und machte einen dicken Knoten.
»Danke«, sagte Wilfried. »Du bist ein guter Freund.«
»Ja, du auch, Wilfried. Du hast mir das Leben gerettet. Du kannst alles von mir haben ... Und denk später an Deckel, äh ... ist egal ...«
»Kein Problem«, sagte Wilfried wie sonst immer Edek, lächelte noch einmal dankbar und ging.
Edek schaute in den Spiegel. Seine Kehle war voller roter Striemen und sie schmerzte. Unter seinen Augen hatten sich dunkle Schatten gebildet. Verdammt. Wenn Wilfried nicht gekommen wäre, hätte ihn Berthold ganz sicher umgebracht. Edek wusch sich das Gesicht. Es gab überhaupt keinen Zweifel: Er verdankte Wilfried sein Leben. Edek trocknete sich ab. Wilfried, Wilfried, Wilfried! Edek legte das Handtuch weg und betrachtete sein Gesicht noch einmal im Spiegel. Viel besser sah es nicht aus. Eher noch elender.
· 6 ·
S eit drei Stunden – so lange schon beobachtete Berthold versteckt die Geisterbahn – ging ihm nur noch ein Gedanke durch den Kopf: Rache! Rache gegen Edek. Rache an dem Riesen. Rache gegen die ganze Welt!
Berthold prüfte noch einmal die Lage. Der Riese hatte vor gut einer halben Stunde die Geisterbahn verlassen, in der er sich – der Teufel wusste warum – so lange aufgehalten hatte. Das Licht im Mannschaftswagen war erloschen und auch in Mirjas Wagen blieb es hinter den Fenstern dunkel. Nur in der Geisterbahn brannten oben noch die Lichter, der Riese hatte vergessen, sie auszumachen. Das traf sich gut. Das traf sich ausgezeichnet. Und nun hatte Berthold lange genug gewartet. Die Zeit war reif!
Er lief zur Geisterbahn und kroch unter der Plane hindurch. Obwohl er hier nur wenige Tage gearbeitet hatte, kannte er sich noch gut aus. Vorsichtig, damit ihn nicht zufällig ein Geräusch verriet, kletterte er zwischen den Rohren nach oben. Am »Toten Mann« musste er anfangen. Dort saß der dicke Pressluftschlauch des Kompressors, an den die anderen Schläuche angeschlossen waren. Sie würde er als Erstes zerstören und damit alle beweglichen Attraktionen der Geisterbahn lahmlegen. Dann würde er sämtliche elektrische Leitungen zerschneiden und die Figuren zerstören. Eine nach der anderen. Eine Geisterbahn würde es nach der heutigen Nacht jedenfalls nicht mehr geben! Da war ihm Jeschke ganz egal. Hier ging es um seine Ehre!
Und da war auch schon der Sarg des »Toten Mannes«. Berthold ging auf die Knie und kroch hinter ihn, dort, wo der Hauptschlauch aus der Rückwand kam. Er holte das Springmesser aus der Jackentasche, klappte es auf, setzte die Klinge an den Schlauch und drückte. Der Schlauch hielt stand. Berthold sägte hin und her, immer wilder und immer kräftiger, schaffte es aber nicht. Das verdammte Ding musste doch endlich nachgeben! Voller Wut stach er auf den Schlauch ein. Endlich! Die Spitze des Messers blieb stecken, und ein scharfes Zischen ertönte. Berthold zuckte bei dem Lärm zusammen. Aber er musste weitermachen. Fluchend drückte er noch einmal mit aller Kraft auf das Messer.
Plötzlich zerbarst der Schlauch mit einem lauten Knall. Dann, bedingt durch den heftigen Druckabfall, setzte sich der Sarg in Bewegung. Völlig überrascht sprang Berthold auf, stemmte sich gegen ihn und versuchte, ihn abzubremsen, damit er nicht noch mehr Lärm verursachte. Vergeblich. Die dicken Metallfedern in seinem Schiebemechanismus waren kräftiger, er kam nicht dagegen an! Schlimmer noch – der Sargdeckel flog an der vorgesehenen Stelle auf, und der »Tote Mann« begann, sich
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