Auf Inseln (German Edition)
hatten allerdings alle auch eine technische oder naturwissenschaftliche Ausbildung. Wir waren acht Männer und eine Frau. Nun ja, sie war fast noch ein Mädchen, eine Dienerin mit ausgeprägtem Ausschnitt und hübschen blondem Haar, und ich fragte mich in Gottes Namen, was sie hier an Bord zu suchen hatte. Wollte man der Spezies auf Aurelia ein weibliches Exemplar unserer Gattung vorstellen? Die Antwort war viel einfacher. An Bord wurden kleine Messen gehalten. Die Liturgie schien die Anwesenheit einer Dienerin zu verlangen. Das wertete die Veranstaltung auch für mich ungemein auf. Es gab vier Schlafkabinen. Wir drei Weltlichen, Paul, Stefan, ein Elektroniker und ich teilten uns eine. Es war schon während des Trainings klar geworden, dass wir in der Hierarchie ganz unten standen. Die Dienerin schlief alleine in ihrer kleinen Kabine, obgleich ich dies bezweifelte. Sie hieß Ramona, sie hatte blondes Haar, was auch in New Avignon eine Seltenheit ist und eine ausgesprochen helle Haut. Neben ihrer Funktion als Dienerin war sie noch Mädchen für alles, was sich eigentlich mit dem Dienerinnenkodex widersprach, aber die Klerikalen waren in Ausnahmesituationen durchaus in der Lage praktisch zu operieren. Wessen Gespielin sie war, war nicht so ohne Weiteres herauszufinden, da die Messen von unterschiedlichen Besatzungsmitgliedern gehalten wurden, nicht nur vom Kommandanten der St. John. Mir war auch nicht klar, ob es sich bei den Priestern um hundertfünfzigprozentige handelte, die der großen Sache, der neokatholischen Kirche dienen wollten, oder einfach nur um Freiwillige, die sich wie Paul und ich brennend für Aurelia interessierten oder einfach Abkommandierte, die sich irgendwie unbeliebt gemacht hatten oder sich, wie ich, irgendwelche Verfehlungen geleistet hatten. Die Fünf taten alles, um den Eindruck zu hinterlassen, dass sie hundertfünfzigprozentige waren. Dies war für mich durchaus anstrengend. Auch eine Spur Fatalismus hatte mich an Bord der St. John gebracht, die womöglich sich aufgemacht hatte, die Pforten der Hölle aufzusuchen. Ein starker Glaube gab die Gewissheit, dass die Hölle einem nichts anhaben konnte. Der Flug zur Hölle war gleichsam ein Ticket fürs Paradies. Nicht für mich, denn entweder gab es kein Paradies oder, wenn ich darin irrte, standen mir die Türen des Paradieses nicht offen, weil ich mein ganzes Leben diesen Gott abgelehnt hatte. Ich glaubte nicht, dass er mir verzeihen würde. So oder so, der Himmel war für mich verschlossen. Relativ sicher war ich, dass die St. John ihrer Offenbarung entgegen raste. Es würde vermutlich zu einer Apokalypse kommen, die in unseren Köpfen stattfinden würde. Wie weit wir davon betroffen wären, konnte ich nicht sagen. Vielleicht würden wir nur distanzierte Beobachter eines inneren Spektakels sein. Unsere Theologie hielt sich mit Deutungen des Phänomens Aurelia zurück, hin und wieder hörte man Deutungen, dass dort das Böse lauerte, aber in der Regel wurde die Existenz Aurelias verdrängt. Im Ganzen konnte man nicht so leicht eine Verbindungslinie zwischen New Havanna, wo definitiv das Böse herrschte und Aurelia ziehen. In New Havanna saß das gottlose Böse, während auf Aurelia möglicherweise die gefallenen Engel hausten, satanische Engel, die sich durchaus der Allmacht Gottes bewusst waren und sich hüten würden, eine klerikale Expedition ernsthaft zu gefährden. Ich war gewissermaßen sogar leichtgläubig, denn in meinem Denken war Aurelia meist der Sitz einer überlegenen Macht, die mich keinesfalls töten würde. Sie würden meine Rückkehr nicht gefährden. Möglicherweise würde ich vorübergehend verrückt sein, um daraus meine Erkenntnisse zu ziehen. Diese Art von Optimismus, eigentlich ganz untypisch für mich, war naiv, und wohl mit Grund dafür, dass ich mich so ohne Weiteres entschlossen hatte, an dieser an sich historischen Expedition teilzunehmen. Möglicherweise würde sie aber nie in die Geschichtsbücher von New Avignon aufgenommen, insbesondere dann, wenn sie erfolglos war, insofern war sie dann alles andere als historisch. Paul umtrieb eine Art Idealismus. Noch vor Kurzem suchte er nach Wegen für die Menschheit, den ganzen Planeten zu besiedeln. Die Aborigines zählten nichts. Offensichtlich war für ihn die Menschheit die Krone der Schöpfung. Ich hatte aber in den letzten Monaten bemerkt, dass er sich immer mehr von seinen früheren Positionen, die die Eroberung Aurelias beinhaltete, löste. Er sprach immer mehr von
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