Auf Inseln (German Edition)
wollten. Mir genügte es im Prinzip auf diesen beiden Inseln sein zu können, von denen New Havanna die Schönere war. Paradoxerweise war der Sozialismus unmenschlicher als unsere kapitalistische, klerikale Gesellschaft, die mir hin und wieder die Hölle auf Erden, so die Redewendung, brachte. Heute war die Hölle sehr weit entfernt, ich wusste aber nicht warum. Es konnte nicht an der Flasche Wein liegen, die schon zur Hälfte geleert war, denn Wein und Bier trank ich fast jeden Tag. Ich hatte auch keinen Geschlechtsverkehr gehabt. In meinen Phantasien spukte etwas Katharina, und wäre es nicht Katharina wäre es vermutlich jemand anderes gewesen. Mir musste es nur noch gelingen, mich mit dieser Gesellschaft zu arrangieren, dieser Planet war immer der meine. Die Welt namens Terra Nova, New Earth. Viele sagten einfach nur Erde, wie sie zu unserem Zentralgestirn Sonne sagten. Unsere Sonne hatte einen kleineren Begleiter, der in einer Entfernung von zehn Milliarden km sein eigenes kleines Planetensystem hatte. Einer dieser Planeten war Aurelia. Aurelia kreiste um Helena, die zurzeit unseren Winternachthimmel hell erleuchtete, sodass man sich jede Straßenbeleuchtung sparen konnte. Helena war praktisch das einzige Gestirn, welches man am winterlichen Nachthimmel sehen konnte, sah man von unseren Monden und zwei Planeten ab. Ich war in diese Welt voller Geheimnisse hineingeboren und ein wenig reizte es mich, diese Geheimnisse zu lüften, wollte ich mich allerdings mit meiner Gesellschaft arrangieren, sollte ich dies besser bleiben lassen. Dieses Meer unter mir war unergründlich. Glücklicherweise war es nicht vergiftend, in ihm zu schwimmen, was ich hin und wieder tat. Bis nach New Havanna konnte ich nicht schwimmen, das waren über zweihundert Kilometer! Ich wollte noch viele Frauen besitzen, schöne Frauen, junge Frauen, kluge Frauen, Frauen mit Herz. Die Stimmung des Abends unterband jede Selbstkritik, aber manchmal ist es schön, keinen Verstand zu haben. Der Verstand hätte gesagt: Hol dir deinen alten Job zurück, dann hast du Chancen auf ein Weib, vor dem du nicht laufen gehen brauchst. Der Verstand hätte sich mit jeder Art von Kompromiss zufriedengegeben. Der Verstand basierte auf Mittelmäßigkeit, Gefühle verzichteten auf einschränkende Randbedingungen, waren ehrlich und nicht berechnend, so wie dieses Insekt, das sich auf meinen Unterarm setzte. Meine meditative, ruhige Stimmung ließ keine Angst aufkommen, obwohl dieses Insekt groß war. Als es zustach, erkannte ich es, wachte auf aus meinem Traum, aber es war schon zu spät. Ein alles überwältigender Schmerz überfiel meinen Körper, wellenförmig. Der Schmerz schien zu wandern, zu oszillieren, ließ nach, um in Vehemenz wieder zu kommen, so als ob den ganzen Körper eine Migräne erfasst hätte. Mein Herz pochte laut vor Angst. Ich müsste nach Hause, vielleicht in ein Krankenhaus. Mit dem Stich einer Avignonwespe war nicht zu spaßen. Der Schmerz würde zwar bald etwas nachlassen, aber Wahn und Fieber Platz machen. Vorerst konnte ich mich vor Schmerz kaum bewegen, feindselig starrte ich das Meer an. Wellen von krampfartigen Schmerzen durchzogen meinen Körper. Ich wartete auf den Augenblick, dass ich mich bewegen konnte. Der Fußweg nach Hause, in meine kleine Wohnung würde mehr als eine Stunde brauchen. Seltsamerweise schien mir nicht in den Sinn zu kommen, die Hilfe eines Krankenhauses zu suchen.
Ich versuchte meine aufkommende Panik zu unterdrücken, während meine Umgebung begann, sich auffällig zu verändern. Es war nicht meine Umgebung, die sich veränderte, so sagte meine Vernunft, sondern ich, aber das war in der Konsequenz zu Ende gedacht, nicht weniger beunruhigend. Der an sich wichtigste Gedanke war, dass ich unter Einfluss einer Droge stand, die mir durch einen Stich zugefügt worden war - das Rettungsseil meiner Ideenwelt - und irgendwann wäre die Droge aus meinem Körper verschwunden. Meine Wahrnehmung sagte mir definitiv etwas anderes, sie war eine andere und drohte mich zu verschlucken. Ein zusätzliches Korrektiv gegen meinen Realitätsverlust war der oszillierende Schmerz. Dieser Schmerz, aufgrund der Droge, des Wespengifts war real oder sollte ich ihn ebenso als Sinnestäuschung abtun. Meine Lichtempfindlichkeit war extrem gesteigert, die Objekte strahlten etwas in einer durchaus nicht beruhigenderweise, Wolken, die kurz die Sonne verdunkelten, Schatten, beängstigten mich, aber vor allem der sich
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