Auf Inseln (German Edition)
konnte diese Momente nicht festhalten. Die Idee des Paradieses als ewige, geborgene Zuflucht für die Menschen war ein immerwährender Wunschgedanke, eine hartnäckige Illusion, ein unerreichbares Ziel im Reich der Kurzlebigkeit, für deren Verwirklichung ich gerne meinen Beitrag geleistet hätte, aber die ewige Glückseligkeit war eine fehlgeleitete Idee, denn das Glück und das Paradies konnte sich nur über wenige kosmische Momente erstrecken. Ich gab die Hoffnung nicht auf, dass das zeitweilige Paradies für mich mitunter erreichbar war; ich betete dafür, im Namen einer mir unbekannten Schicksalsgöttin, deren Existenz sich durch meine Sehnsucht manifestierte. Solch „religiöse“ Momente trafen mich aber selten. Ich blieb meist der vom Paradies ausgesperrte Zyniker, ein Realist, der noch nicht mal eine Chance sah, eine wenn auch nur kurze Zufriedenheit in dieser Gesellschaft zu erlangen. Hin und wieder Zufriedenheit und der Rausch als schäbiger Ersatz für Glück waren Dinge, die ich in dieser Hölle auf Zeit anstreben konnte, wobei das zweite Ziel denkbar einfach zu erreichen war, aber mit Konsequenzen, die womöglich das erste Ziel weiter gefährdeten. Helena und die beiden Monde, St. Paul und St. Peter, in Wirklichkeit immens große Gesteinsbrocken ohne jegliches Leben, konnte in meiner zeitweilig existierenden Seele Töne zum Schwingen bringen, die ein Lied von ewiger Liebe und Glück bildeten, mit meinen Gedanken bei ihr.
Das Institut für Psychiatrie in Athens sah aus wie alle Gebäude dieser Art, grau, schmucklos und funktionell, mit ein paar lieblos in Stein gehauenen Heiligen, die offensichtlich den Eingang bewachten. Ich hatte es zu einem Vorstellungstermin gebracht, musste nach Zimmer 212 und begegnete in den Gängen einigen Gestalten, die mich an Mönche erinnerten, obgleich sie nicht uniformiert waren, sondern schlicht und farblos zivil gekleidet. Die eigentliche Psychiatrie, in deren Sälen Patienten behandelt und an ihnen experimentiert wurde, war ausgelagert. Ich sah offensichtlich keine Verrückten, hörte nicht ihre Schreie, irgendein existenzielles Geschrei oder Gelächter – Lachgas in der Hölle – und das hatte einen beruhigenden Einfluss auf mich. Ich klopfte an der Tür von Raum 212. Mich erwartete ein schlichtes Büro mit einem jungen Mitarbeiter des Instituts, der die Insignien der theologischen Fakultät trug. Dieser Mensch war offensichtlich Student der Theologie und der Psychiatrie, für einen akademischen Grad erschien er mir zu jung. Ich stellte mich vor und wies darauf hin, dass ich einen Termin hätte. „Richtig, sie sind an der Teilnahme von Projekt Epsilon interessiert.“ Er las kurz in meinen Bewerbungsunterlagen, zeigte Zeichen des Erstaunens. „Sie sind Dozent für Geschichte der Erde, aber ihrer Lehre enthoben. Warum, wenn ich fragen darf?“ - „Es war ein Versehen, ein Missgeschick. Gewisse Interpretationen ... gewisse Interpretationen sind missverstanden worden, als gesellschaftskritisch eingestuft worden, sicher ein Missverständnis, dass ich verschuldet habe. Ich hoffe, bald wieder einen Lehrauftrag zu bekommen. Mit der Teilnahme an Projekt Epsilon will ich beweisen, dass ich ein ehrenhaftes Mitglied unserer christlichen Gesellschaft bin, bereit für Fehler einzustehen, bereit, mich für New Avignon einzusetzen.“ - „Schön“, sagte der Student und machte irgendwo ein Kreuz. „Sie haben aber auch andere Motive?“ - „Ich bin zurzeit schon recht knapp mit Geld versehen und den versprochenen Urlaub in New Havanna finde ich sehr reizvoll. Ich war schon mal dort. Die Küsten der Insel sind sehr schön. Eine sehr schöne Insel, wenn ich auch das Gesellschaftssystem, was dort herrscht, zutiefst verabscheue.“ - „Warum verabscheuen sie es?“ - „Es leugnet Gott, beschneidet den Menschen. Auch die Freiheit des Wirtschaftens. New Havanna steht im Verdacht das Tabu zu brechen, klont Menschen, die sich prostituieren müssen.“ Der Student machte ein Kreuz. Er fragte nicht weiter, warum ich auf diese Insel wollte. Was hätte ich antworten können? Ich war kein Missionar. Das Wetter? „Sind sie bei körperlicher Gesundheit?“ Er fragte ein paar Punkte ab. Es war recht einfach, die richtigen Antworten zu geben. „Sind sie psychisch krank?“ Am liebsten hätte ich ihm geantwortet, dass man in New Avignon keine andere Chance hätte, als psychisch krank zu sein. Die Paranoia war immanent in diesem System. „Nein, ich glaube nicht, dass ich
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