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Auf nassen Straßen

Auf nassen Straßen

Titel: Auf nassen Straßen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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hereinflutete.
    »Rostiges Miststück«, keuchte er und tastete sich mit den Füßen weiter. Er konnte nicht sehen, wohin er trat … er spürte nur, daß er in Wasser watete.
    Nahe der Luke stolperte er plötzlich. Er wollte die schwere Eisenscheibe wegwerfen und sich zur Seite fallen lassen, aber das Gewicht der Pumpe drückte ihn nieder, riß ihn mit und schleuderte ihn zu Boden. Er fiel mit dem Gesicht in das seichte Wasser, den linken Arm unter dem schweren Eisendeckel. Noch ehe er die Besinnung verlor, hörte er das Knirschen und Brechen seines Armes und spürte einen Schmerz, der bis in sein Gehirn jagte und ihn aufschreien ließ.
    Der alte Baumgart stand am Ruder und sah hinaus auf das in der Abendsonne spiegelnde Wasser. Von seinem Stand aus kontrollierte er auf drei Druckanzeigern die Arbeit der Pumpen und schüttelte den Kopf, als er nach drei Stunden noch immer den Ausfall der Pumpe III bemerkte.
    »Erna!« rief er aus dem Steuerhaus. Sie lächelte, als sie das Steuerhaus betrat.
    »Früher hast du mich nie gerufen. Was ist los, Pitter?«
    »Halt das Ruder, Erna!«
    »Ich?« Ihre Augen wurden groß. »Du hast immer gesagt: Frauen gehören in die Kombüse. Das Ruderrad ist ein Heiligtum! Und jetzt …«
    »Hannes wird mit den Pumpen nicht fertig.« Er schob sie hinter das große Rad, legte ihre Hände um die mächtigen Holme und zeigte geradeaus auf den wie mit einem Lineal gezogenen Kanal. »Immer den Kurs halten, Erna. Immer so die Hände lassen. Und wenn du siehst, daß da hinten einer entgegenkommt, dann ziehst du an der Sirene. Ich bin gleich wieder da …«
    Er ließ seine Frau stehen und rannte aus dem Steuerhaus hinaus zu der Einstiegluke. Dort beugte er sich über das eiserne Treppengeländer und legte die Hände wie einen Schalltrichter vor den Mund.
    »Hannes!« Er lauschte, aber es kam keine Antwort. »Hannes, was ist mit der Pumpe?«
    Er lauschte wieder. Aber nur das Klatschen des Wassers an die Bordwand vernahm er und das dumpfe, den ganzen Leib des Schiffes durchzitternde Stampfen der alten Motoren.
    Er kletterte ächzend die steile Eisentreppe hinab ins Innere seines Schiffes.
    »Hannes!« rief er noch einmal. »Bist du am zweiten Schott? Wo steckst du denn?«
    Er tappte weiter und merkte, daß er in Wasser ging. Dann sah er vor sich die gekrümmte Gestalt auf dem Boden liegen, halb verdeckt von dem schweren Eisendeckel der abmontierten Pumpe.
    »Hannes!« schrie der alte Baumgart. Er stürzte zu dem Ohnmächtigen hin, kniete sich in das handhohe Wasser und stemmte, ächzend und vor Anstrengung die Augen schließend, den runden Deckel von dem Körper. Dann richtete er Hannes auf, tastete mit zitternden Händen über das Gesicht des Jungen und riß den blauen Monteuranzug über der Brust auf. Er legte sein Ohr an das Herz und hielt den Atem an.
    Es klopfte. – Mit einem Ruck stand der alte Baumgart auf. Er stemmte keuchend den Körper seines Sohnes über die Schulter und biß sich auf die Lippen, als der Ohnmächtige laut aufstöhnte. Beim Empornehmen sah er auch, wie der linke Arm in einem seltsamen Winkel vom Körper abstand und der untere Teil hin und her pendelte, als hielten ihn nur wenige Sehnenfetzen mit dem oberen Teil zusammen.
    Schwankend ging Peter Baumgart zur Treppe zurück. Dort umklammerte er mit der linken Hand das eiserne Geländer, mit der rechten hielt er Hannes auf seiner Schulter fest.
    Er sah empor. Dort oben schien die Sonne. Dort oben waren Luft, Rettung, ein Bett, der Medizinkasten, die Notschiene. Dort oben, hinter diesem hellen Viereck, durch das die Wolken hereinsahen und der Sommerwind blies, war das Ende aller Schmerzen.
    Vierunddreißig Stufen … Das waren vierunddreißig Ewigkeiten. Das waren vierunddreißig Schritte, steil empor, mit einer Zentnerlast auf den müden, schwachen Schultern.
    Er biß die Zähne zusammen und zog sich die erste Stufe hoch. Den schweren Körper seines Sohnes drückte er etwas nach hinten. Er verteilte das Gewicht und umklammerte dann wieder das eiserne Geländer der Treppe.
    Noch drei Stufen – drei endlose Schritte – er spürte, wie sein altes Herz hämmerte, wie das Blut in seinen Kopf schoß und fast dröhnend durch die morschen Adern jagte.
    Vier Stufen von vierunddreißig. – Und dort oben, im Licht, in diesem kleinen Viereck, durch das er den Himmel sah und die ziehenden Wolken, war die Rettung. Greifbar nahe und doch so weit entfernt für einen alten, verarbeiteten, schwachen Körper.
    »Erna!« schrie der alte Baumgart

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