Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auf nassen Straßen

Auf nassen Straßen

Titel: Auf nassen Straßen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
in seiner höchsten Not.
    Er zog sich noch drei Stufen empor und hielt dann wieder ein. Noch siebenundzwanzig eiserne Podeste – siebenundzwanzig Schritte mit diesem schweren Körper auf den Schultern. – Es war unmöglich.
    Er ließ den Körper von der Schulter gleiten und setzte den Bewußtlosen auf die Stufe vor sich. Dann rieb er die blassen Wangen, riß das nasse Hemd auf und massierte die Brust; er schlug sogar mit der flachen Hand mehrmals in das Gesicht und schüttelte den Körper. »Hannes!« rief er dabei. »Hannes, wach doch auf!«
    Es half nichts. Der Körper sackte ihm unter den Händen weg. Er hatte Mühe, ihn zu umklammern und gegen das Geländer der Treppe zu drücken. Das Schiff schlingerte stark, ein großer Schlepper mußte es überholt haben.
    Der alte Baumgart biß die Zähne zusammen. Er war nahe daran, zu heulen, aber er preßte die Lippen aufeinander und bezwang ein Zittern, das durch seinen Leib jagte. Mit dem Gürtel, den Hannes um die Hose trug, band er den schlaffen Körper an dem Treppengeländer fest.
    Er stieß aus der Dunkelheit des Laderaumes in das helle Sonnenlicht und wollte nach seiner Frau schreien, als neben ihm ein neues, langes, glänzendes Schiff vorbeirauschte. Ein niedriger, kaum sichtbarer Schornstein, weiße Deckaufbauten, wimpelgeschmückt, lange, breite, tief im Wasser liegende Laderäume, deren Fülle die Geschwindigkeit anscheinend nicht hemmen konnte. Ein prachtvolles Schiff, wie der alte Baumgart es noch nie auf den Flüssen und Kanälen gesehen hatte. Eine Demonstration des Fortschritts und modernster Schiffbaukunst.
    Am Bug und am Heck leuchteten in Goldbuchstaben dick die Namen: Fidelitas – Hamburg.
    Einen kleinen Augenblick blinzelte der alte Baumgart in die grelle Sommersonne auf den weißen, schlanken Leib des Schiffes, dann rannte er, so schnell ihn seine alten Beine trugen, in das Ruderhaus, stieß die verblüffte Erna zur Seite und riß an der Signalleine der Sirene.
    Kurz-kurz-kurz-lang-lang-lang-kurz-kurz-kurz.
    Ein schauriges, nicht zu überhörendes, das Blau des Himmels durchschneidendes Heulen.
    SOS! SOS!
    »Mach weiter, bis sie halten!« schrie er Erna zu, preßte ihr die Reißleine in die Hand und rannte wieder aus dem Ruderhaus über die Planken, hinab zur Treppe.
    Erna Baumgart umklammerte die Reißleine der Sirene. Sie wußte nicht, was geschehen war, aber der Anblick ihres Mannes sagte ihr, daß es etwas Schreckliches sein mußte. Mein Gott, dachte sie. Mein lieber, lieber Gott –, laß bloß nichts mit dem Hannes sein. Nur das nicht! Laß das Schiff zerbrechen, laß die Ladung absinken, laß alles geschehen, aber behüte Hannes. Er ist ja das letzte, was ich noch habe.
    Mit leeren Augen zog sie an der Leine.
    SOS! SOS!
    Jochen Baumgart stand auf der Kommandobrücke, als die ›Fidelitas‹ in Sichtweite der ›Guter Weg‹ kam. An der Schleuse hatte er erfahren, daß sein Vater vor ein paar Stunden die Kammer passiert hatte und auf dem Wege nach Duisburg war.
    Ein wilder Triumph zog durch den verblendeten Sohn. Er malte sich den Augenblick aus, da sein stolzes, modernes Schiff an dem alten Kahn vorbeirauschte … Er würde dann oben auf der Brücke stehen und hinabwinken auf den Bruder, der in seinem alten blauen Pullover bestimmt am Steuerrad stand und auf das Stampfen der alten, verrosteten Maschinen lauschte. Sogar hupen wollte er, eine Fahne hissen und dann mit aller Kraft an ›Guter Weg‹ vorbeijagen … Seht, so läuft ein Schiff, sollte es heißen. So etwas erreicht man, wenn man die Augen offenhält und einige Zeit vergißt, was Charakter bedeutet.
    Am Kommandogerät und Radarschirm stand Kapitän Karl Bunzel. Er hatte seit dem Betreten der ›Fidelitas‹ noch keine Schnapsflasche wieder angesehen, geschweige denn berührt. Als Jochen ihm am ersten Abend einen Whisky anbot, lehnte er ab.
    »Ich will ein anderer Mensch werden, Mister«, hatte Bunzel gesagt. »Sie haben mir wieder ein Kommando gegeben – das sollen Sie nicht bereuen müssen.«
    »Volle Kraft!« sagte Jochen Baumgart.
    »Nee, Mister!«
    Jochen fuhr herum. »Ich sagte: Volle Kraft! Und ich dulde keine Widerrede!«
    Bunzel lehnte sich an den Maschinentelegrafen. »Auf dem Wasser bin ich der Kapitän! Und wenn ich sage: Nee – dann ist es nee!«
    »Sie sollen volle Kraft durchgeben!« brüllte Jochen.
    »Wir befinden uns auf einem Kanal. Für Kanäle gibt es bestimmte Geschwindigkeiten – wie auf den Straßen. Ich darf sie nicht überschreiten, um andere Schiffe

Weitere Kostenlose Bücher