Auf nassen Straßen
einzukalkulieren.«
Emil Strecker stellte wieder das Kognakglas hin, das er gerade zum Munde führen wollte.
»Zehn Prozent? Sie sind des Teufels, Jochen!«
»Denken Sie an die Runden, die Sie gewinnen.«
»Die wiegen keine zehnprozentige Erhöhung der Frachtkosten auf! Wie soll ich diese zehn Prozent im Preis kalkulieren? Wir arbeiten mit den rationellsten Methoden und der schärfsten Kalkulation und liegen trotzdem etwa vierzehn Prozent über dem Weltmarktpreis. Nur die Güte der Waren ›Made in Germany‹ läßt die Auslandskäufer diesen Preis schlucken. Ich kann nicht höher gehen!«
»Schade!« Jochen Baumgart erhob sich. »Es hätte mich so gefreut, Herr Strecker.«
Strecker hob die Hand. »Wo wollen Sie hin, Jochen?«
»Zu Bierbaum und Cie.«
Emil Strecker wurde ernst. Das Lächeln auf seinem runzeligen Gesicht erstarb. »Das ist Erpressung! Sie wissen genau, daß ich seit Generationen im Kampf mit Bierbaum stehe. Schon mein Großvater …«
»Es geht hier nicht um genealogische Untersuchungen, sondern um ein Geschäft. Wenn Sie die zehn Prozent scheuen, wird sie Bierbaum und Cie. übernehmen. Der Juniorchef von Bierbaum wird mich sofort verstehen, wenn ich sage: ›Bevor Strecker seine Waren verladen hat, sind die von Bierbaum schon verkauft.‹ – Man kann die Namen allerdings auch herumdrehen.«
»Setzen Sie sich bitte wieder!« Emil Strecker trank das Glas in einem Zug leer. »Sie sind ein harter Bursche, Jochen. Ihre Methoden haben mit dem guten, alten Kaufmannsgeist nichts mehr gemeinsam …«
»Er ist auch seit Gustav Freytag gestorben. Er ist Romanfigur geworden. Anschauungsmaterial!«
Der alte Strecker sah vor sich hin.
»Machen wir einen Vertrag«, sagte er langsam. »Und dann möchte ich Ihren Vater sprechen und ihm gratulieren zu einem so dickfelligen und raffinierten Sohn.«
Der Vertrag wurde unterzeichnet. Jochen Baumgart hatte ihn gleich ausgearbeitet in der Aktentasche mitgebracht. Es blieb dem alten Strecker nichts anderes übrig, als zu unterschreiben.
»Sie waren Ihrer Sache aber sicher«, sagte er aufatmend, als die Unterschrift unter dem kurzen Vertrag dreimal gesetzt war. »Sie bringen gleich alles mit, als ob Sie vorher wüßten, wie man reagiert.«
»Ich weiß es, Herr Strecker. Nicht nur bei Ihnen – bei allen Kunden, die ich aufsuche.«
»Dann sind Sie bald der einzige Binnenschiffer, der voll beschäftigt ist.« Der alte Strecker goß noch einen Kognak ein. »Sie sind fähig, den Kampf gegen die Konzerne aufzunehmen.«
»Ich stehe bereits mitten in ihm.«
»Und was sagt Ihr Vater dazu?«
»Nichts. Er versteht die neue Zeit nicht ganz.«
»Ich kann es ihm nachfühlen. Es war noch eine gute Zeit, als der Handel abhängig war von der Persönlichkeit des Kaufherrn und nicht von der Schnelligkeit und der Preisunterbietung der Konkurrenz.«
»Diese Zeit wird nie wiederkommen. In unserer neuen Welt frißt man, oder man wird gefressen. Ich möchte nicht der sein, der gefressen wird.«
Jochen Baumgart war mit diesem Besuch sehr zufrieden. So wie bei dem alten Strecker ging er alle alten Kunden seines Vaters ab …
Es machte Jochen Baumgart nichts aus, daß er auch die Konkurrenz des alten Strecker besuchte und auch mit ihr einen Frachtvertrag abschloß … Bei der nächsten Fahrt würde die Ware von Strecker freilich neben der seiner Konkurrenz in einem Laderaum liegen, und beide Fabriken würden sich wundern, wieso die Teile der Konkurrenz genauso früh am Zielort waren wie die eigenen. Da sie beide über den Vertrag mit Baumgart schweigen würden, blieb dies ein immerwährendes Rätsel.
Hannes' Verletzung hatte sich als nicht so schwer herausgestellt, wie es zuerst aussah. Neben dem komplizierten Armbruch hatte er drei Rippen gebrochen, aber innere Verletzungen zeigten sich nicht auf den Röntgenbildern, die man sofort in Osnabrück gemacht hatte. Irene Ballin, die in Duisburg in einem Café als Serviererin arbeitete, um die Aussteuer zu verdienen, nahm sich sofort Urlaub und reiste an das Krankenbett ihres Verlobten. Während sie bei ihm saß und von der gemeinsamen Zukunft sprach, während sie ihn pflegte und in den Krisentagen auf einem Sofa im Aufenthaltsraum schlief, um immer zur Stelle zu sein, wenn Hannes sie brauchte, ging der alte Baumgart, um die Krankenhauskosten für seinen Sohn bezahlen zu können, einen schweren und ihn von Fall zu Fall immer mehr zu Boden drückenden Gang. Er begann in Duisburg und endete in Ludwigshafen. Weiter fuhr Peter
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