Auf nassen Straßen
fragen.«
»Bitte, Vater.«
»Hast du den Kapitän der ›Fidelitas‹ gesehen?«
»Aber ja. Natürlich. Er war immer bei mir. Warum?«
»Wer war es?«
»Ein Karl Bunzel. Ein versoffener Kerl, aber sein Geschäft versteht er.«
»Und der Eigner des Schiffes?«
»Den kenne ich nicht. Nur der Kapitän war bei mir. Warum fragst du, Vater?«
»Och, nur so. Ich wollte mich noch bei dem Eigner bedanken.«
Der alte Baumgart hängte auf. Auch Hannes hatte Jochen auf der ›Fidelitas‹ nicht gesehen. Dieser hatte sich ja verborgen. Aus Scham? Aus Berechnung? Sollte niemand wissen, daß er der Besitzer des schnellsten Schiffes war; wollte er erst die Aufträge kassieren, bevor das Geheimnis gelüftet wurde?
Peter Baumgart verließ das Hauptpostamt als ein gebrochener Mann. Er raffte sich noch einmal auf und besuchte die Exportfirma Berthold und Cie. Auch hier war es das gleiche Spiel wie bei Nolte … Jochen hatte einen Vertrag fest abgeschlossen, und die Herren von Berthold und Cie. sahen juristisch keine Möglichkeit, diesen Vertrag wieder zu annullieren. Die Unterschrift lautete auf Jochen Baumgart, ebenfalls wurde Jochen Baumgart als Besitzer der ›Fidelitas‹ genannt. Man merkte es erst jetzt, als man den Vertrag auf diesen Punkt hin genau durchlas.
Zu Hause, auf dem Schlepper ›Guter Weg‹, setzte sich Peter Baumgart hinter seinen kleinen, wackeligen Schreibtisch und rechnete noch einmal durch, was er an Geld aufbringen konnte, wenn alle Frachtaufträge ausblieben und er sein Schiff festtäuen mußte wie die über hundert Binnenschiffer, die in Ruhrort oder in anderen Häfen am Kai lagen und auf Ladung warteten.
»Wir werden es nie bezahlen können, Erna«, sagte er am Abend. »Wir werden immer Schuldner bleiben … Oder wir müssen hungern.«
»Dann hungern wir, Peter!«
Noch einmal versuchte es Peter Baumgart. Es war der Mut der Verzweiflung, das Aufbäumen eines sterbenden Bären gegen die Unerbittlichkeit des Todes. Leer, mit hoch aus dem Wasser ragenden Laderäumen, fuhr er den Rhein hinauf und besuchte seine alten Kunden. Er fuhr von Ort zu Ort, von Firma zu Firma, mit denen er schon seit Jahrzehnten zusammenarbeitete. Es war eine Wahnsinnsfahrt, er wußte es. Denn überall, wo er vorsprach, war es wie bei Nolte und Bierbaum & Cie …
Jochen Baumgart war schneller gewesen, er hatte die Firmen durch Verträge an sich gekettet.
»Das ist Lumperei!« schrie der alte Baumgart verzweifelt. »Er nimmt meinen Namen und richtet mich zugrunde.«
In diesen Tagen geschah etwas, was niemand erwartet hatte und was so völlig außerhalb des Charakterbildes lag, das man sich von Jochen Baumgart gemacht hatte.
Der alte Baumgart erhielt nach Ludwigshafen einen Brief der Osnabrücker Klinik nachgesandt, den er mehrmals las, ehe er begriff, was der Inhalt bedeutete.
»Sehr geehrter Herr Baumgart! Ihr Schreiben vom 14. ds. Mts. haben wir dankend erhalten. Leider kön nen wir Ihrer Bitte, die aufgelaufenen Rechnungen unseres Hauses und unserer Ärzte zu stunden bzw. in Raten abzuzahlen, nicht entsprechen , weil sämtliche Rechnungen einschl. der noch kommenden Auslagen durch einen Blankoscheck bereits gedeckt sind. Verwaltung der Kliniken Osnabrück.«
Peter Baumgart reichte diesen Brief seiner Frau. Er sagte nichts dazu, sondern verließ die enge Wohnkajüte, setzte sich draußen auf dem Deck auf eine Kabelrolle und blickte über den nächtlichen Rhein und den langsam einschlafenden Hafen.
Jochen, dachte er. Was ist er nur für ein Kerl? Er nimmt uns die Arbeit weg, er läßt seinen alten Vater verhungern, er betrügt mich mit meinem eigenen Namen … und dann bezahlt er die Rechnung der Klinik mit einem Blankoscheck. Er hat eine verworrene Seele, er ist wie unausgegorener Wein, von dem man nicht weiß, ob er süß wird oder sauer, gut oder schlecht.
Es dauerte nicht einen Monat, da merkte Jochen Baumgart, daß er den Bogen überspannt hatte.
Nicht nur die alten Auftraggeber seines Vaters kündeten an, daß sie die Verträge mit der ›Fidelitas‹ als Verstoß gegen Anstand und Sitte betrachteten und sogar juristisch in die Sparte des ›unlauteren Wettbewerbs‹ reihen würden, sondern auch die neuen Kunden, die Jochen sich gesucht hatte, teilten mit, sie würden auf keinen Fall die Verträge verlängern. Es war an den Fingern abzuzählen, wann auch die ›Fidelitas‹ still und ohne Ladung an den Kais lag, ein Schiff, das bis zu diesem Tage nicht seinesgleichen hatte und das doch gemieden wurde, weil ein
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