Auf Schreckenstein geht's lustig zu
den Kartoffelkeller in den Burghof gelangen. Es war unheimlich für die Mädchen, sich in dem fremden dunklen Gewölbe vorwärts zutasten, und ihre kurzen Atemzüge verrieten die gewaltige Aufregung. Über eine mittelalterliche Kanone kletterten sie schließlich durch ein schmales Kellerfenster ins Freie. Sie waren im Burghof. Totenstille. Als sie gerade von den Anstrengungen etwas verschnaufen wollten, stieß Renate plötzlich einen unterdrückten Schrei aus.
Alle fuhren herum und hielten erstarrt inne. Vor dem Burgfried stand im fahlen Licht des dünnen Mondes ein Monstrum, das aussah wie ein Polyp mit unendlich vielen Armen... die Feuerwehrspritze.
Keine wollte der anderen eingestehen, wie sehr sie erschrocken war, und so schwiegen sie eine Weile. Dann flüsterte Sonja: „Falls wir auseinandergerissen werden oder uns verlieren, hier durch dieses Kellerfenster und dann links, wie wir gekommen sind. Treffpunkt bei den Booten. Alles klar?“
Die Mädchen nickten stumm.
„Dann kommt!“ Sonja drehte sich um und ging schnurstracks auf den Eingang des Treppenhauses zu, der auch nachts immer offen war. Die Schreckensteiner Ritter hätten ihre helle Freude an den Mädchen gehabt, wenn der Streich nicht gegen sie selber gerichtet gewesen wäre. Wie gelernte Einbrecher stiegen sie die Treppe hinauf, ganz rechts am Geländer, wo die schweren Bohlen bestimmt nicht quietschen konnten. Oben im Gang brannte die einsame Sparbirne wie ein sterbendes Glühwürmchen. Es war mäuschenstill, nicht einmal das Schnarchen eines Ritters ließ sich vernehmen. Von jetzt an verständigten sich die Mädchen nur noch durch Zeichensprache. Sonja winkte, ihr zu folgen. Sie schlich den ganzen Korridor entlang, um die Ecke herum, bis ans Ende. Dort öffnete sie vorsichtig den letzten Schrank und riss dann die Tür, um Knarren zu vermeiden, mit einem Ruck auf. Leise und behutsam nahm sie die Kleider heraus, erst die Wäsche, dann Hosen, Jacken und Pullover. Nur ein paar Klaviernoten ließ sie drin. Es war Strehlaus Schrank. Eva und Renate mussten die Sachen zur Treppe bringen, während Sonja, Beatrix und Ingrid sich über die nächsten Schränke hermachten. Sophie hatte das schwere Seil umgehängt und lauschte nach verdächtigen Geräuschen. Der Kleiderberg an der Tür wuchs so schnell, als seien nicht zarte Mädchenhände, sondern ein Bagger am Werk. Nachdem der erste Stock geräumt war, wiederholte sich der Vorgang im zweiten. Es klappte schon fast beunruhigend gut.
Durch die Reibungslosigkeit des Ablaufs wurden die Mädchen immer sicherer, begannen, sich leise zu unterhalten und Unfug zu machen. Ingrid hielt sich beispielsweise ein Kleidungsstück vor und machte dabei eine ihrer Lehrerinnen nach, dass die anderen das Lachen kaum unterdrücken konnten. Die anfängliche Angst war völlig verflogen. Beatrix öffnete gerade ihren zwanzigsten Schrank, um ihn wie die vorigen auszuräumen. Plötzlich sah sie etwas, das ihr größtes Interesse erweckte — ein Akkordeon, das hochkant im Kleiderteil abgestellt war. Wie sie von Sonja wusste, gab es nur einen auf der Burg, der dieses Instrument spielte: ihr persönlicher Feind Stephan. Sie wollte es schon herausnehmen, aber Sonja winkte ab. Nur die Kleider!
Missmutig schob Beatrix die Tür wieder zu. Doch von nun an hatte sie jede Lust an dem Streich verloren. Der Gedanke der privaten Rache für die „blöde Kuh“ beherrschte sie völlig. Mechanisch arbeiteten ihre Hände, während sie ihr Hirn zermarterte, wie sie doch noch an das Akkordeon kommen könnte. Sie sah Stephan bereits im Geist, wie er morgens seinen Schrank öffnete und nicht nur die Kleider, sondern auch sein geliebtes Instrument fehlten. Und sie war fest entschlossen, ihm diesen Schrecken einzujagen.
Alle Schränke waren geleert und die Mädchen begannen, den Kleiderstapel in den Hof hinunterzutragen. Jede arbeitete völlig für sich. Das war für Beatrix der richtige Moment, zu verschwinden. Als sie nach drei Ladungen wieder zu dem Kleiderstapel im ersten Stock hinaufkam, war sie allein. Rasch sah sie sich noch einmal um und huschte dann in dem dunklen Treppenhaus davon, hinauf in den zweiten Stock. Oben hielt sie abermals einen Augenblick inne und lauschte hinunter. Niemand schien ihr Verschwinden bemerkt zu haben. Auf Zehenspitzen ging sie den Korridor entlang. „Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs... da war er!“
Wie viel Bässe mag die Harmonika wohl haben, dachte sie und öffnete die Schranktür hastig, und vor lauter
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