Auf Schreckenstein geht's lustig zu
mein Akkordeon klauen?“
Beatrix schüttelte trotzig den Kopf.
„Lüg nicht, ich hab’s doch gesehen!“
„Nix hast du gesehen!“
„Wie bist du überhaupt rübergekommen?“
„Ach — so!“ antwortete sie schnippisch.
„Was heißt so? Mit dem Boot?“ fragte er, aufgebracht über ihr störrisches Wesen.
„Vielleicht“, sagte sie und zuckte mit den Schultern. So ging es nicht. Stephan schwieg und überlegte. Dann versuchte er es auf eine andere Art. Ganz ruhig und langsam fragte er: „Sag mal, warum bist du überhaupt so böse auf mich? Ich hab mich doch deinetwegen extra gemeldet!“
Für einen Augenblick sahen sie sich an, dann zischte sie: „Wegen dir hab ich vier Tage Kartoffeln geschält. Hättest dich ja auch früher melden können, du Feigling!“
Jetzt ging Stephan hoch: „Den Feigling nimmst du sofort zurück, du... du blöde Kuh!“
„Ja, und das hast du auch zu mir gesagt“, schrie sie ihn an, dass er ihr den Mund zuhalten musste, worauf sie ihn abermals in die Hand biss.
„Wenn du nicht augenblicklich Ruhe gibst, kommst du in die Handschellen!“ herrschte er sie an. „Kommst dir wohl maßlos stark vor“, fauchte sie zurück. Der ist einfach nicht beizukommen, dachte Stephan und sah sie von der Seite an. Und wie sie so kratzbürstig dasaß, war er auf einmal gar nicht mehr böse. Doch da kam ihm ein neuer Gedanke: „Woher wusstest du überhaupt, welcher mein Schrank ist?“
Sie zuckte die Achseln und antwortete nicht. Ihre Gedanken waren ganz woanders: bei den Freundinnen.
Nun werden sie wohl fertig sein, überlegte sie, und drunten am Steg auf mich warten. Ich muss sehen, dass ich hier heraus komme. Stephan hingegen fasste ihr Schweigen als neuen Beweis ihrer Widerspenstigkeit auf und war wild entschlossen, sie nunmehr zum Reden zu zwingen. Er packte sie am Handgelenk: „Gib endlich Antwort!“
Wieder sahen sie sich hasserfüllt an. In dem schmalen Gelenk fühlte er das Pochen ihres Pulses und lockerte unwillkürlich den Griff. Auf einmal veränderte sich ihr Gesichtsausdruck, sie schaute ihn groß an, und Stephan bemerkte, dass sie grüne Augen hatte.
„Ich wollte nur sehen, ob dein Akkordeon mehr Bässe hat als meins“, sagte sie leise und senkte den Kopf. Stephan war platt. Das hatte er nicht erwartet.
„Wie“, stammelte er, sie noch immer festhaltend, „du... du spielst auch...?“ Langsam zog sie ihre Hand zurück, schaute auf, nickte und musste auf einmal lachen. Auch Stephan kochte, und plötzlich waren sie keine Feinde mehr. Lachen steckt ja auch wirklich an.
„Meins hat hundertzwanzig Bässe“, sagte Stephan unvermittelt, aber nicht ohne Stolz.
„Meins bloß sechzig!“ war die Antwort. Und sie mussten erneut lachen.
„Was lachst du denn?“ fragte er.
„Du lachst ja auch!“ antwortete sie.
„So was“, sagte er und schaute vor sich hin, „ich hab dich für die grässlichste Kratzbürste gehalten und jetzt...“ „Und jetzt?“
„Und jetzt hast du auch ein Akkordeon! — Du, wir müssen unbedingt mal zusammen spielen!“
„Ach“, wehrte sie ab, „ich kann’s doch längst nicht so gut wie du!“
„Das weißt du ja gar nicht!“
„Ich denke es mir eben“, sagte sie, und es klang gar nicht mehr schnippisch.
Stephan kam in Fahrt. Am liebsten hätte er gleich mit ihr zusammen gespielt, aber das ging ja nicht. Also suchte er nach einem geeigneten Ersatz: „Weißt du was“, sagte er und zog die Augenbrauen bedeutungsvoll in die Höhe, „ich hol jetzt meine Quetsche!“
„Au ja“, stimmte sie begeistert zu.
Als er zurückkam, war der Vogel ausgeflogen. Zunächst konnte er es gar nicht fassen und schaute noch mal draußen nach.
„So ein Biest!“ sagte er vor sich hin.
Das „Biest“ kroch inzwischen durch die Mostpresse und den Heizungskeller ins Freie.
„Wo warst du denn so lange?“ fragten Renate und Eva, die schnatternd vor Kälte im Boot auf sie warteten. Das andere war schon vorausgefahren, um Sonja, für den Fall, dass Beatrix erwischt worden wäre, herauszuhalten.
„Ach“, seufzte sie, „ich habe ein Geräusch gehört und musste mich verstecken!“
Damit kroch sie in das Boot und sprach während der ganzen Fahrt kein Wort mehr. Wie ein Spuk, dachte Stephan und kroch in sein Bett, froh, dass keiner etwas bemerkt hatte. Die Spannung der letzten Tage war verflogen, und merkwürdig erleichtert, ja fast heiter rollte er sich in seine Kissen und lag noch lange wach.
„Jetzt ist sie schon drüben!“ dachte er, als
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