Auf Treu und Glauben: Commissario Brunettis neunzehnter Fall (German Edition)
zweifellos ebenfalls gern hatten, aber das konnte er Vianello natürlich nicht sagen. Und – gestand er sich ein – er selbst würde es auch nicht von Vianello hören wollen.
»Du kannst ja einen Unterschied machen, wenn du willst«, sagte Vianello, was sich anhörte, als werde er selbst das mit Sicherheit nicht tun. »Wenn sich herausstellt, dass er in dieser Nacht nicht in Belluno war – was dann?«
Brunetti tat dies mit einem Achselzucken ab.
Wieder in seinem Büro, stand Brunetti ausgelaugt am Fenster, hoffte auf einen erfrischenden Luftzug und dachte über die Möglichkeiten nach, die sich aus dieser neuen Erkenntnis ergaben. Penzo und Fontana als Freunde, die sich sehr gern hatten, was immer das bedeuten mochte. Oder als Liebespaar: Er schloss das nicht aus. Fontana und Richterin Coltellini als Gegner im Streit über den Verbleib von juristischen Dokumenten. Fontana als Anlass lautstarken Streits mit den anderen Mietern in seinem Haus. Und nicht zuletzt Signor Puntera, reicher Geschäftsmann und Besitzer des Palazzo, der überall seine Finger drin hatte und daher viele Gründe haben konnte, sich bei Gericht ein paar entgegenkommende Freunde zu sichern.
Er ließ die Hoffnung auf eine lindernde Brise fahren und ging nach unten zu Signorina Elettras Büro. Die Tür war zu. Er klopfte an, vernahm ein Geräusch und trat ein. Ins Paradies. Es war kühl, es war trocken, ihn überlief ein Schaudern– er wusste nicht, ob vor Kälte oder Wonne. Sie saß an ihrem Computer, und was trug sie da? Eine hellblaue Strickjacke – war das möglich? Im August? – aus Kaschmir?
Er machte die Tür schnell hinter sich zu. »Wie hat er das denn hingekriegt?«, fragte er verblüfft. Er konnte seine Überraschung nicht verbergen. »Haben Sie ihm dabei geholfen?«
»Bitte, Commissario«, sagte sie entrüstet. »Sie wissen genau, was ich von Klimaanlagen halte.« Das wusste er allerdings. Sie hatten sich über das Thema einmal beinahe zerstritten: Er hatte behauptet, unter bestimmten Umständen sei so etwas nötig – wobei er stillschweigend seine eigene Wohnung in den Monaten Juli und August dazuzählte –, während sie argumentiert hatte, das sei Verschwendung und daher unmoralisch.
»Was ist passiert?«
»Tenente Scarpa«, sagte sie mit unverhohlener Verachtung, »hat einen Freund, der Klimaanlagen installiert; heute früh hat er eine bringen und im Büro des Vice-Questore einbauen lassen.« Sie richtete sich auf und fügte hinzu: »Ich habe ihm gesagt, ich brauche keine. Jedes Mal, wenn die Tür aufgeht, kommt genug kalte Luft herein.«
Wie aufs Stichwort krachte in diesem Moment die Tür hinter Signorina Elettras Schreibtisch an die Wand, und statt kalter Luft stürmte Patta ins Zimmer. »Da sind Sie. Seit Stunden rufe ich in Ihrem Büro an. Sofort herein zu mir.« Er schrie nicht: Das war nicht nötig. Gegen die Glut seines Zorns kam selbst die Klimaanlage kaum an.
Der Vice-Questore wandte sich ab und wollte in sein Büro zurück, aber da die Tür von der Wucht, mit der er sie aufgestoßen hatte, wieder zugefallen war, musste er sie erst wieder öffnen.
Brunetti warf Signorina Elettra einen Blick zu, aber sie hob nur fragend die Hände und schüttelte den Kopf. Brunetti folgte Patta in dessen Büro und schloss die Tür.
»Haben Sie den Verstand verloren?«, platzte Patta heraus und baute sich hinter seinem Schreibtisch auf. Er nahm Platz, wies Brunetti aber keinen Stuhl an, was bedeutete, dass Patta ernsthaft in Rage war.
Brunetti rückte etwas näher an den Schreibtisch heran, die Hände an der Hosennaht. »Was ist los, Signore?«, fragte er.
»Was los ist?«, fauchte Patta, und für den Fall, dass ein Lauscher hinter seinem Aktenschrank ihn nicht richtig gehört haben sollte, wiederholte er: »Was los ist?« Und endlich überzeugt, dass jeder ihn vernommen hatte: »Das ist los: Ich habe heute Morgen zwei Anrufe bekommen, und in beiden wurde mir von Ihrem geradezu kriminellen Verhalten berichtet. Das ist los.«
»Darf ich fragen, wer Sie angerufen hat, Signore?«, fragte Brunetti, der das Schlimmste befürchtete.
»Ich wurde von Signora Fulgonis Mann kontaktiert; er sagt, seine Frau sei wegen Ihrer tendenziösen Befragung aufs äußerste beunruhigt.« Patta hob eine Hand und wischte jeden Versuch Brunettis beiseite, sein Verhalten zu erklären oder zu rechtfertigen. »Noch schlimmer, er sagt, Sie hätten es gewagt, ein Kind zu verhören.« Der Gedanke an die Konsequenzen dieses Vorgehens trieb Patta aus
Weitere Kostenlose Bücher