Auf Umwegen ins Herz
Haare waren wild zerzaust vom Wind, und die untergehende Sonne spiegelte sich in seiner Sonnenbrille. Er trug ein weißes, kurzärmeliges Polo-Shirt, die oberen Knöpfe waren geöffnet. Seine braunen Lederboots hatte er unter seiner schwarzen Jeans versteckt. Und obwohl es nur ein Foto war, konnte ich förmlich sein Lachen hören. Am liebsten hätte ich mich in dem Moment an ihn geschmiegt.
Verwirrt schüttelte ich den Kopf, um meine Gefühle wieder unter Kontrolle zu bringen, und rief mir seine arrogante Art als Teenager vor Augen. Als Selbstschutz sozusagen. So ließ es sich schon besser mit dem Fotoalbum umgehen. Wer weiß, worüber oder über wen er auf dem Foto lachte …? Wahrscheinlich machte er sich gerade wieder über jemanden lustig. Gut, diese Vorstellung passte besser zu dem Bild, das ich von Julian hatte, und zähneknirschend klickte ich weiter.
Dass mich ein Foto erwarten würde, in dem er in Badeshorts am Strand zu sehen war – darauf war ich nicht vorbereitet. Mein Blick glitt fasziniert an seinem v-förmigen Oberkörper entlang und folgte den feinen Härchen, die in seiner Hose verschwanden. Die Krönung des Ganzen war allerdings die Tatsache, dass er in seiner Hand ein Eis hielt, an dem er genüsslich leckte. Nur mühsam konnte ich mir ein leises Stöhnen verkneifen. Um zu vermeiden, dass ich wieder ins Schmachten kam, schloss ich die Fotogalerie und wechselte in mein Layoutprogramm.
„Kann ich …“, ich musste mich räuspern, um wieder eine kräftige Stimme zu haben, „… kann ich was für dich tun, Isa?“
„Ooooh ja!“ Ihr erregter Blick ließ mich laut auflachen.
„Für das bin ich definitiv die falsche Person. Also sag schon, weswegen du in mein Büro gekommen bist?“
Müde schaltete ich vier Stunden später den Computer aus. Zum Glück hatte ich Isa bei ihrem Blitzbesuch nach der Foto-Show so ablenken können, dass wir nicht mehr auf Julian zu sprechen kamen. So konnte ich ihr nicht mehr von seiner Facebook-Nachricht erzählen, aber das war vorerst vielleicht auch besser so. Ich wollte mir erst selbst meine Gedanken darüber machen. In Ruhe und unbeeinflusst von meiner Freundin.
Auf dem Weg nach Hause überlegte ich, was – und vor allem – ob ich Julian zurückschreiben sollte. Wenn ich an die Fotos dachte und an die Person, die mir am Sonntag im Café gegenübergesessen hatte, so war ich mir zu tausend Prozent sicher, dass er ein erneutes Treffen wert war. Doch irgendwie ließ mich die Vergangenheit nicht in Ruhe, vielleicht auch deshalb, weil ich sie mir immer wieder bewusst ins Gedächtnis rief, um meine Gefühle zu kontrollieren.
Ich dachte wieder daran, was mir meine Mutter geraten hatte, als ich das erste Mal verliebt war: „Liebe mit dem Herzen, aber vergiss nicht deinen Verstand, denn er soll dich leiten.“ Sehr toll, wo war der geblieben, als ich Georg begegnete? Und wie sollte ich jetzt handeln, wo meine Gefühle wieder Achterbahn fuhren und ständig mein Kopf dazwischenfunkte? Es war auf die eine und auf die andere Art nicht einfach, eine Entscheidung zu treffen. Denn ein Hieb mitten ins Herz konnte jederzeit kommen – ab dem Moment, wo ich wieder wen hineinlassen würde.
Um mich etwas zu entspannen und meinen Kopf freizubekommen, schaltete ich meine Stereoanlage ein, und ließ mich durch ruhige Musik beschallen. Ich setzte mich mit meinem Laptop an die Küchentheke, überflog noch einmal seine Nachricht und griff anschließend nach meinem Handy. Dann tippte ich eine SMS:
Jana Sommer:
Hallo, Julian!
Morgen 15:00 Uhr passt mir ganz gut. Wo wollen wir uns treffen? Auf Neele bin ich natürlich schon gespannt, und – ob Du es glaubst oder nicht – ich freue mich auch auf Dich. Jetzt bilde Dir bloß nichts darauf ein! :-P
Liebe Grüße, Jana
Mit rasendem Herzen drückte ich auf „Senden“ und schaffte es nicht, das Telefon aus der Hand zu legen. Ich tigerte quer durch meine Wohnung und hoffte auf eine Antwort von ihm. Für mich keine leichte Aufgabe. Um mich abzulenken, klickte ich mich noch einmal durch seine neuen Fotos auf seinem Profil. Gerade, als ich wieder in Julians Indigoblau versank, vibrierte mein Smartphone und riss mich schlagartig aus meinen Tagträumen.
Julian König:
Ich gehe regelmäßig im Wasserwald spazieren – was hältst Du also davon, wenn wir uns beim Parkplatz an der Salzburger Straße treffen? Neele freut sich auch schon auf Dich, sie hüpft wild auf und ab. Ich auch – und jetzt bilde Dir bloß nichts darauf ein
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