Auf zehn verschlungenen Wegen einen Lord erlegen
länger an ihn denken. Besser wäre es, sich Gedanken darüber zu machen, was nun aus ihnen werden sollte, da ihre Geheimnisse enthüllt waren und es nur noch eine Frage der Zeit war, wann ganz London – ganz England – über Minerva House Bescheid wüsste.
Doch die Furcht vor Entdeckung verblasste neben dem Schmerz über seinen Verrat. Die schmachvolle Erkenntnis, dass alles, was er sie – oder was sie sich – hatte glauben machen …
Dass es niemals geschehen würde.
Ein leises Klopfen an der Tür ließ ihre Tränen jäh versiegen.
„Herein“, rief sie.
Vorsichtig wurde die Tür geöffnet. Zu Isabels Überraschung war es Georgiana, deren blonde Locken ihr im schwachen Kerzenschein des Flurs wie ein Strahlenkranz um den Kopf standen. Sie blinzelte, brauchte einen Augenblick, um Isabel im Dunkel des Zimmers auszumachen.
Zögerlich kam sie herein. „Verzeihen Sie, dass ich Sie störe …“
Isabel lachte bitter. „Wenn sich hier jemand entschuldigen sollte, dann wohl ich.“
Mit großen Augen sah Georgiana sie an. „Aber wofür?“
„Dass ich Ihnen diesen Mann auf den Hals gehetzt habe.“
Die junge Frau sah Isabel ernst an. „Ich bitte Sie, Lady Isabel, Sie haben nichts dergleichen getan.“
„Nein? Glauben Sie vielleicht, er wäre hier, wenn ich ihn nicht hergebeten hätte? Glauben Sie, er hätte Sie gefunden, wäre ich nicht so dumm gewesen, ihm zu vertrauen?“
„Ja, das glaube ich.“
Schweigend sah Isabel zur Seite.
„Sie kennen meinen Bruder nicht, Isabel. Er ist ein sehr herrischer Mensch und bekommt, was er will. Ihm ist noch nie etwas versagt worden. Er ist der elfte Duke of Leighton. Können Sie sich vorstellen, wie weit zurück unsere Familie reicht, um elf Herzöge hervorzubringen? Ein jeder anmaßender und selbstgefälliger als der vorherige?“ Georgiana schüttelte den Kopf. „Simon dürfte Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt haben, um mich zu finden. Fast überrascht es mich, dass wir es bislang nur mit Lord Nicholas und diesen beiden Dummköpfen zu tun hatten. Es hätte mich nicht gewundert, wenn er den König bewogen hätte, seine Leibgarde zu schicken.“ Georgiana trat näher und legte ihre Hand auf Isabels Arm. „Sie haben mir Lord Nicholas nicht auf den Hals gehetzt. Vielmehr ist es umgekehrt. Und das tut mir leid.“
Die Worte trafen Isabel ins Mark. Sie ließ sich auf die Fensterbank sinken und bedeutete Georgiana, sich zu ihr zu setzen. „Und mir tut es leid“, sagte sie leise“, „dass Ihr Bruder eine so Furcht einflößende Gestalt ist.“
Georgiana lächelte. „Das braucht es nicht. Mein Bruder mag arrogant und herrisch sein, aber er liebt mich und würde alles für mich tun.“
„Aber warum …“
„Es hat seine Gründe, dass ich weggelaufen bin.“
„Die gibt es immer.“
„Ich würde es Ihnen gern erzählen. Sie sollten wissen, warum all das geschehen ist.“
Es ist geschehen, weil ich einem Mann vertraut habe, dem ich niemals hätte vertrauen dürfen .
„Ich würde es gern hören“, sagte Isabel ruhig.
„Ich bin …“, begann Georgiana und schaute einen Moment zum Fenster hinaus, wo sie kaum mehr als die Spiegelung ihres Gesichts im dunklen Glas sehen konnte. „Ich war verliebt. In wen, das tut nichts zur Sache.“
Isabel erwiderte nichts, sondern wartete, dass das Mädchen den Mut fand weiterzusprechen. „Ich habe einen schrecklichen Fehler gemacht. Ich hatte geglaubt, er würde mich auch lieben.“ Sie senkte den Blick auf ihre Hände. Als sie fortfuhr, war ihre Stimme kaum mehr als ein Flüstern. „Hat er aber nicht.“ Sie holte tief Luft. „Wahrscheinlich ist es besser so. Simon hätte uns niemals heiraten lassen. Aber ich war am Boden zerstört. Er hat mich verlassen, ohne ein Wort. Und dann …“
Sie schien von ihren Erinnerungen überwältigt und brachte kein Wort mehr heraus. Isabel nahm ihre Hand. „Sie brauchen es mir nicht zu sagen.“
„Ich will aber“, flüsterte Georgiana. „Ich will es endlich jemandem erzählen.“
Isabel schwieg. Sie wusste, was kommen würde.
„Ich stellte fest, dass ich ein Kind erwarte. Simon konnte ich es unmöglich sagen. Ich wollte ihn nicht enttäuschen. Da hat meine Kammerzofe mir von einem Haus in Yorkshire erzählt, wo junge Frauen Hilfe fänden – geführt von einer Lady Isabel.“ Sie lächelte zaghaft. „Und deshalb bin ich hier.“
Sie sah auf und erwiderte Isabels Blick mit großen, unschuldigen Augen … war selbst fast noch ein Kind. „Ich wusste, dass er
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