Auf zehn verschlungenen Wegen einen Lord erlegen
das im nächsten Moment schon einem Ausdruck wich, der sich nur als Entschlossenheit beschreiben ließ. Verwirrt von dem plötzlichen Gefühlsumschwung, hörte sie ihn flüstern: „Ich weiß nicht, was Sie vor mir verstecken, Isabel, aber ich werde es bald herausfinden. Und alles in meiner Macht Stehende tun, es zum Guten zu wenden.“
Das kam so unerwartet, dass es ihr die Sprache verschlug.
Während es sie noch nach weiteren Berührungen von ihm verlangte, hatte er sich schon zur Tür gewandt, seine Bewegungen so ruhig und sicher wie seine Worte.
10. KAPITEL
N ick musste die Augen gar nicht öffnen, um zu wissen, dass er beobachtet wurde.
Reglos lag er da, atmete ruhig weiter und sondierte die Lage.
Im Dunkel hörte er es leise atmen. Der Eindringling schien ganz in der Nähe und überhaupt nicht nervös. Vor zehn Jahren, in der Türkei, hätte Nick ein solches Szenario beunruhigend gefunden, doch hier, in der Abgeschiedenheit Yorkshires, vom Unwetter auf Townsend Park festgehalten, schien ihm der Kreis möglicher Besucher recht überschaubar.
Er roch keine Orangenblüten, was hieß, dass es nicht Isabel war, die sich zur Morgenstunde bei ihm eingefunden hatte. Schade eigentlich. Es hätte ihm gefallen, von ihr geweckt zu werden. Was gestern Abend geschehen war, hatte seine Neugierde noch gesteigert. Selten hatte er eine Frau so leidenschaftlich erlebt, geschweige denn so geheimnisvoll. Er wollte alles entdecken, was es an ihr zu entdecken gab.
Noch besser hätte es ihm gefallen, sie beim Aufwachen neben sich zu finden. Er stellte sich vor, wie sie sich warm und schläfrig an ihn schmiegte, ihn aus honigbraunen Augen einladend ansah … Nichts in der Welt hätte ihn aus einem so bereiteten Bett jagen können.
Doch anderes harrte seiner Beachtung. Sein Besucher schien zwar keine Gefahr darzustellen, dennoch war nun nicht die rechte Zeit, sich Fantasien über die Hausherrin hinzugeben. Genau genommen sollte er das überhaupt lassen, könnten ihm diese Träumereien doch leicht gefährlich werden.
Als er die Augen öffnete, begegnete er einem Blick aus ernsten braunen Augen, die denen, über welche er eben fantasiert hatte, nicht unähnlich waren.
„Gut. Sie sind wach.“
Der junge Earl of Reddich hockte neben seinem Bett. Mit ihm hatte Nick am allerwenigsten gerechnet.
„Sieht so aus.“
„Ich habe darauf gewartet, dass Sie aufwachen.“
„Tut mir leid, dass ich dich habe warten lassen“, sagte Nick trocken.
„Das macht nichts, ehrlich. Mein Unterricht fängt erst in einer Stunde an.“
Als Nick sich aufsetzte, rutschte das Laken bis zur Hüfte hinunter. Er rieb sich mit der Hand das Gesicht, um den Schlaf zu vertreiben. „Hat dir niemand beigebracht, dass es sich nicht gehört, in die Zimmer der Gäste zu schleichen?“
James dachte kurz nach. „Ich dachte, das gilt nur für die Mädchenzimmer.“
„Da gilt es erst recht.“
James nickte so ernst, als sei er eben in ein großes Geheimnis eingeweiht worden. „Gut, das werde ich mir merken.“
Um seine Belustigung zu verbergen, schwang Nick die Beine aus dem Bett und schlüpfte in den viel zu kleinen Morgenmantel, den man ihm gestern Abend bereitgelegt hatte und der vermutlich dem Fundus des verschiedenen Earls entstammte. Als er sich wieder umdrehte, beobachtete ihn der Junge noch immer von der anderen Seite des Bettes.
Nick sah ihn jede seiner Bewegungen mit einer Ernsthaftigkeit verfolgen, die ihn älter erscheinen ließ, als er war. Zudem fühlte Nick sich an Isabel erinnert.
Wieder einmal.
„Was kann ich für Sie tun, Lord Reddich?“
James schüttelte den Kopf. „Niemand nennt mich so.“
„Dann sollten die Leute mal langsam damit anfangen. Du bist doch der Earl of Reddich, oder?“
„Ja …“
„Aber?“
James kaute auf seiner Lippe herum. „Aber ich mache überhaupt keine Sachen, die Earls so machen. Dafür bin noch nicht alt genug.“
„Was sind denn das für Sachen?“
„Was mein Vater eben so gemacht hat.“
„Nun, ich wüsste nicht, ob ich alt genug wäre, um all die Sachen zu machen, die dein Vater gemacht hat“, meinte Nick, trat an den Waschtisch und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht. Er nahm sich eines der Leinentücher und trocknete sich ab. Dann wandte er sich wieder dem Jungen zu, der es sich nun am Fußende des Bettes bequem gemacht hatte.
„Aber bald lerne ich das wahrscheinlich“, sagte James, und Nick fand, dass er nicht gerade begeistert klang. „Wenn Sie mit der Arbeit an der
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