Auf zehn verschlungenen Wegen einen Lord erlegen
Sammlung fertig sind, haben wir genügend Geld, um mich zur Schule schicken zu können, hat Isabel gesagt.“
Nick nickte, griff nach dem Rasierzeug, das neben der Waschschüssel stand, und begann sich das Gesicht einzuseifen. Beim Blick in den Spiegel sah er, dass der Junge jeden Handgriff aufmerksam verfolgte. „Wie alt bist du?“
„Zehn.“
So alt wie er, als alles anders geworden war.
Nick tat, als bemerke er den Blick des Jungen nicht, und setzte das Rasiermesser vorsichtig an die Wange. „Mein Bruder ist ein Marquess“, sagte er beiläufig.
James war so fasziniert von dem Prozedere, dass er zunächst gar nicht begriff, was Nick gesagt hatte. Dann jedoch weiteten sich seine Augen. „ Wirklich?“
„Wirklich.“ Nick konzentrierte sich einen Moment auf seine Rasur, ehe er hinzusetzte: „Und das meiste, was es braucht, um ein Marquess zu sein, hat er auf der Schule gelernt.“
Eine Weile war nichts zu hören außer dem Platschen des Wassers und dem Schaben des Rasiermessers auf Nicks Haut. „Waren Sie auch auf der Schule?“, fragte James schließlich.
„War ich.“
„Hat es Ihnen gefallen?“
„Manchmal.“
„Und warum nur manchmal?“
Nick widmete sich nun der Kinnpartie und überlegte, was er erwidern sollte. Er hatte viel mit diesem Jungen gemein: eine komplizierte Vorgeschichte, die ihn von seinen Altersgenossen unterschied, eine ungewisse Zukunft, eine unschöne Vergangenheit. Nick dachte daran, wie seine Mutter die Familie verlassen hatte, was bösen Tratsch zur Folge hatte. Sein Vater hatte sich danach immer mehr zurückgezogen und ihn und Gabriel aufs Internat geschickt, ohne sie darauf vorzubereiten, was auf sie zukäme – das Gerede, der Spott, die Schikanen. Als zweitgeborener Sohn ohne eigenen Titel hatte Nick das meiste davon einstecken müssen.
Am Anfang hatte er sich nur in seinen Büchern verkrochen, doch dann hatte er gelernt, sich zu wehren. Und irgendwann war ihm aufgegangen, dass seine Fähigkeiten und seine gute Konstitution ihm Möglichkeiten eröffneten, die wenig mit dem Leben gemein hatten, das dem zweiten Sohn des Marquess of Ralston vorgezeichnet schien. Es war eine Offenbarung gewesen.
Kurzum, er hatte die Schule nicht sonderlich gemocht. Aber für James mochte es anders sein. Schließlich war er ein Earl, nicht der Sohn eines unbedeutenden Marquess und einer Marchioness von zweifelhafter Moral. James würde man den Respekt erweisen, der seinem Titel gebührte.
„Manchmal muss man Dinge tun, die einem nicht gefallen. Erst das macht einen zum Mann.“
Angestrengt dachte James nach. Nick beobachtete ihn im Spiegel und fragte sich, was ihn wohl beschäftigte. Schließlich sah der Junge auf und meinte: „Ich will auch endlich für einen richtigen Mann gehalten werden.“
„Dann wirst du wohl zur Schule gehen müssen.“
„Aber was ist mit …“ Der Junge verstummte.
Nick drängte ihn nicht. In aller Ruhe trocknete er sich Gesicht und Hände ab, legte das Rasierzeug beiseite – und wartete.
„Aber was ist mit den Mädchen?“, fragte James schließlich und sah dabei so verzweifelt drein, dass es Nick ganz weh ums Herz wurde. Der Junge sorgte sich um seine Schwester! Nun, kein Wunder eigentlich. So unbesonnen, wie sie sich die letzten beiden Tage gezeigt hatte, konnte Nick ihm das nicht verdenken.
Was er natürlich niemals laut sagen würde.
„Meinst du nicht, dass deine Schwester alt genug ist, um allein auf sich aufpassen zu können?“
James schüttelte den Kopf. „Isabel mag es nicht, allein zu sein. Sie wäre traurig, wenn ich fort bin.“
Nick sah Isabel vor sich, traurig und allein. Keine schöne Vorstellung.
„Sie würde wissen, dass du nur deine Pflicht tust.“
Wieder nagte der Junge an seiner Lippe – eine liebenswerte Angewohnheit, die man ihm in Eton gründlich austreiben würde, dachte Nick mit leisem Bedauern.
„Aber ich hab doch Pflichten auf Townsend Park, und Verantwortung für die Mädchen.“
„Was glaubst du, wie Isabel und Lara sich erst freuen, wenn du aus der Schule kommst und sie endlich einen richtigen Earl im Haus haben, der seine Pflichten so ernst nimmt wie du.“
James schüttelte heftig den Kopf. „Aber sie haben doch niemanden …“ Er sammelte sich und begann noch einmal von vorn. „Wenn ich in der Schule bin, kann ich sie doch nicht beschützen.“
Nick horchte auf. „Sie beschützen?“, fragte er so beiläufig wie möglich. „Wovor willst du sie denn beschützen?“
Der Junge wandte den
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