Aufbrach aus der nacht (Liebesromane) (Tagebücher der Dunkelheit: Band 3) (German Edition)
Bruder?“
Wyatt schnaubte und hätte wahrscheinlich noch geantwortet, wenn man sie nicht unterbrochen hätte.
„Guten Morgen“, sagte der lange, hochaufgeschossene Mann, der sich dem Tisch genähert hatte.
Quent schätzte ihn auf Ende dreißig, mit einem gutaussehenden, etwas zerstrubbelten Gesicht, das aussah wie das eines Cowboys. Aber anstatt ein Wildlederhemd und einen riesigen Hut mit Krempe auf seinen unordentlichen, sonnengebleichten Haaren zu tragen, trug er ein Outfit in etwa wie Quents persönlicher Assistent: ein blassblaues Hemd mit Knopfleiste und abgewetzte Khakihosen. Der Kerl hatte einen Haarschnitt dringend nötig und auch eine Rasur wäre nicht unangebracht, aber seine Augen waren intelligent und beobachteten scharf und sein Verhalten verriet den Profi.
„Hey, Vaughn“, sagte Jade lächelnd. „Will du dich zu uns setzen?“
Quent blickte kurz zu Elliott rüber, aber sein Freund war schon aufgestanden, um seinen Stuhl Vaughn Rogan anzubieten, dem Bürgermeister von Envy, und streckte die Hand zur Begrüßung aus. „Setz dich“, bot er an. „Wir sind eigentlich gerade fertig, aber könnten dir noch ein bisschen Gesellschaft leisten, damit du nicht alleine essen musst.“
„Ein Appetithappen wie unser Marlboro Mann hier isst nie allein“, murmelte Fence Quent ins Ohr.
Obwohl Rogan früher mal ein Auge (oder zwei) auf Jade geworfen hatte, was auch immer da mal gewesen war, hatte sich jetzt anscheinend in eine entspannte Freundschaft und echten Respekt verwandelt und nichts weiter. Vor ein paar Wochen hatte Elliott dem Bürgermeister das Leben gerettet und dabei sein eigenes riskiert und seitdem Elliott und Jade ein Paar geworden waren, hatten die beiden Männer den Graben der männlichen Wettkämpfe jetzt hinter sich gelassen und waren etwas mehr als bloße Bekannte geworden.
„Herzlichen Dank“, sagte Rogan und griff sich schnell einen Stuhl vom Nebentisch und schleppte den ans Ende von ihrem. „Es ist gut, dass ich euch alle hier antreffe, denn es gibt ein paar Dinge, über die ich mit euch sprechen wollte.“
Er warf einen raschen Blick hinter sich, wie um sicherzugehen, dass niemand ihr Gespräch hören könnte. Eine Frau lungerte in der Nähe herum und er winkte sie herbei, um ihr kurz eine Antwort zu einer kaputten Windturbine zu geben – „schick Jackson dort raus“ – und drehte sich dann wieder zu ihnen. „Kaffee wäre gut“, sagte er und klang etwas erschöpft.
Aber Jade hatte bereits eine Tasse eingeschenkt und vor ihm abgestellt. „Was ist denn los?“
Rogan nahm schlürfend einen Schluck und schloss die Augen, wie um den Kaffeegeschmack zu genießen. Dann setzte er die Tasse ab.
„Nichts ist los, nichts Ernstes “, sagte er. „Ich musste mich nur um einen Haufen Sachen kümmern, die alle dringend waren. Weswegen ich auch gerne mit euch reden wollte.“
„Bist du nicht besorgt um deine Chancen wiedergewählt zu werden, wenn man dich hier mit dem spinnerten Lou Waxnicki abhängen sieht?“, fragte der alte Mann mit einem trockenen Lächeln. „Dir ist doch klar, dass die meisten Leute in der Stadt denken, ich hätte seit dem Wechsel nicht mehr alle Murmeln auf der Schleuder.“
Rogan nickte, seine Lippen zu einem recht grimmigen Lächeln verzogen. „Denen entgeht was, selber schuld“, sagte er. Dann kräuselten sich seine Augenwinkel mit echt gemeintem Humor. „Obwohl ich glaube, dass du das deine zu diesem Trugschluss beiträgst, indem du immerzu von deiner nicht-existenten Enkeltochter schwafelst.“
Lou lachte, seine Augen leuchteten hinter den Brillengläsern. „Man kann nicht vorsichtig genug sein.“ Dann wurde er wieder ernst. „Wenn die Fremden davon Wind bekommen, dass wir hinter ihnen her sind, wären wir am Arsch, bevor wir auch nur die Chance bekommen etwas zu tun. Und da die meisten Leute die schrecklichen Dinge nicht aus erster Hand kennen, die Jade gesehen und durchgemacht hat, als sie in ihrer Gewalt war, können sie sich das einfach nicht vorstellen und wollen nicht wahrhaben, dass die Fremden einzig und allein daran interessiert sind, uns zu unterdrücken. Unter anderem.“
Es brachte Quent immer noch ein klein wenig aus der Fassung, wenn ein über Siebzigjähriger Worte wie „am Arsch“ in den Mund nahm, auch wenn er wusste, dass er selber eigentlich noch vor Lou und Theo Waxnicki geboren war. Er nahm an, er würde, wenn er wie siebzig aussah, auch noch „Arsch“ sagen.
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