Auferstanden: Thriller (German Edition)
augenblicklich von Trauer verdrängt. Sie musste sich auf den Boden setzen und fühlte sich wie gelähmt.
Schließlich stand sie auf, wischte sich die Tränen aus den Augen und wusste, wohin sie gehen musste. Es war ein eigenartiger Instinkt, den jeder spürte, der sich mit dem tragischen Tod eines geliebten Menschen konfrontiert sah. Es passierte bei Flugzeugabstürzen, Motorradunfällen und Schießereien. Wie von einem unsichtbaren Magneten wurden die Trauernden zum Ort des Unfalls gezogen, wo sie versuchen konnten, die Seele des geliebten Menschen zu berühren, als würde sie dort verweilen, um sich zu verabschieden. Spontan errichtete Gedenkstätten mit Blumen, Kerzen, handgeschriebenen Notizen – einige mit Kugelschreiber, einige mit Bleistift und viele mit Buntstiften – drückten ihre Liebe aus und ihren Kummer um diejenigen, von denen sie sich nicht verabschieden konnten.
Joy lief aus ihrer Wohnung in der Upper West Side von Manhattan heraus. Zwei U-Bahnen, einen Zug und ein Taxi später stand sie in Byram Hills inmitten der Menge auf der Brücke. Sie war nicht überrascht, als sie bemerkte, wie viele Menschen demselben Instinkt gefolgt waren, sich hier am Ort des Unglücks zu versammeln, um gemeinsam um Jack und Mia zu trauern. Die beiden gehörten zu den Leuten, die immer zuhörten und anderen halfen, ihre Probleme und Tragödien zu bewältigen, und niemals über ihre eigenen Sorgen sprachen. Dies trug zu der Zuneigung bei, die andere ihnen entgegenbrachten, zu der tief empfundenen Sympathie, die ihre Freunde im Laufe der Jahre zum Ausdruck brachten.
Joy kannte Jack so gut wie seine engsten Vertrauten, wenn nicht sogar besser. In den vielen Jahren, seit sie zusammenarbeiteten, hatte sie seine besten und schlechtesten Zeiten miterlebt. Er ließ sich niemals unterkriegen und brach niemals zusammen, egal wie stark der Druck auch immer war. Als ihre Eltern starben und ihr das Geld für die Beerdigung fehlte, hatte Jack die Kosten übernommen. Über diese Geste hätte sich jeder gefreut, doch Joy wusste genau, dass Jack und Mia selbst nur über geringe Ersparnisse verfügten. Als die Kinder zur Welt kamen, sprang sie ein, wenn sie gebraucht wurde, und beim Umzug in ihr Haus half sie ebenfalls mit. Sie war die Einzige aus Jacks Büro, die zu den Gartenpartys der Keelers im Sommer eingeladen wurde.
Als Joy sah, dass der Tahoe über der Brücke schwebte, rannen ihr Tränen übers Gesicht. Sie hörte kaum das Klingeln ihres Handys in der Tasche. Gedankenverloren zog sie es heraus, klappte es auf und drückte es ans Ohr, ohne aufs Display zu schauen.
Und als sie seine Stimme hörte, setzte ihr Herzschlag zum zweiten Mal an diesem Morgen aus. Es bestand nicht der geringste Zweifel, und sie dachte nicht eine Sekunde lang daran, dass es ein Trick sein könnte. Joy wusste, wer es war, ehe er das erste Wort ausgesprochen hatte.
»Joy«, sagte Jack. »Versuchen Sie, sich nichts anmerken zu lassen.«
»Mein Gott«, stammelte sie.
»Ich brauche Ihre Hilfe.«
Joy saß auf der Rückbank von Franks Jeep und umarmte Jack. Sie klammerte sich an ihn, als hätte sie Angst, er würde gleich wieder von der Erde verschwinden.
»Verdammt!« Sie war richtig sauer. »Es ist elf Uhr, und Sie hätten nicht eher zum Hörer greifen können?«
»Tut mir leid«, sagte Jack kleinlaut.
»Ich meine es ernst.« Joy lehnte sich zurück und starrte ihn an. »Ich dachte, Sie wären tot. Können Sie sich vorstellen, was das für ein Gefühl ist?«
»Ich hab gesagt, es tut mir leid.«
»Sie können froh sein, dass ich Sie nicht umbringe. Tun Sie das nie wieder.« Joy durchlebte ein Wechselbad der Gefühle, aber schließlich überwog die Erleichterung. Sie beruhigte sich, atmete tief ein und lehnte sich zurück. »Wie geht es Mia?«
Ein Blick in Jacks Augen genügte, und schon beschleunigte sich ihr Atem wieder. Er erzählte ihr alles, was passiert war. Er sprach über den Sturz von der Brücke in den Fluss, von seinen Wunden und dem Tattoo, von Mias Entführung und seiner Überzeugung, dass sie noch lebte, und schließlich von der Beweismittel-Kassette. Nachdem Joys Gefühle erneut Achterbahn gefahren waren, fasste sie sich schnell wieder und war so aufmerksam, wie man es von ihr kannte.
»Verstehen Sie, dass ich Sie brauche?«, fragte Jack sie.
»Sie brauchen mich doch immer«, erwiderte Joy schlagfertig und grinste. Den vertrauten, lockeren Ton hatten sie sich im Laufe ihrer langen Zusammenarbeit angewöhnt. »Sie können Ihre
Weitere Kostenlose Bücher