Auferstehung
vierdimensionalen Topologie anzuwenden, und war gescheitert. Seine Intuition sagte ihm, dass es möglich war, eine Möbius-Reise ›seitwärts‹ in der Zeit zu unternehmen, aber die Mechanik der Sache war ein Stolperstein, der sich wie ein Gebirge vor ihm auftürmte und den er einfach nicht überwinden konnte. Seine instinktive oder intuitive Beherrschung der Mathematik und nicht-euklidischen Geometrie war nicht genug. Er fühlte sich wie jemand, den man aufgeforderte hatte, die Gleichung E=mc² durch die Auslösung einer Atomexplosion zu beweisen – aber allein mit seinem Geist! Wie verwandelt man körperlose Zahlen, reine Mathematik in physische Tatsachen? Zu wissen, dass ein Haus aus zehntausend Ziegelsteinen besteht, reicht nicht; man kann ein Haus nicht aus Zahlen erbauen, sondern nur aus Ziegelsteinen! Es war ein Unterschied, ob Möbius seinen körperlosen Geist hinaus zu den entferntesten Sternen sandte, oder ob Harry Keogh, ein physischer, dreidimensionaler Mensch aus Fleisch und Blut, dasselbe versuchte. Angenommen, er hätte Erfolg und würde wirklich entdecken, wie er sich selbst von A zum hypothetischen Ort B teleportieren könnte, ohne physisch den Weg dazwischen zurückzulegen. Was dann? Wohin würde er sich teleportieren – und wie würde er wissen, dass er angekommen war? Es könnte sich als genauso gefährlich erweisen wie der Sprung von der Klippe zum Beweis der Schwerkraft.
Seit Tagen beschäftigte er sich jetzt mit dem Problem und dachte an fast nichts anderes mehr. Er hatte gegessen, getrunken und geschlafen, war allen natürlichen Bedürfnissen nachgegangen, aber sonst nichts. Und dennoch blieb das Problem ungelöst, die Raumzeit weigerte sich, sich für ihn zu krümmen, die Gleichungen blieben düstere undurchdringliche Schnörkel auf den mittlerweile schäbigen, abgegriffenen Seiten seines Geistes. Welch eine wunderbare Idee – sich selbst physisch in einem metaphysischen Bereich zu bewegen –, aber wie sollte er sie realisieren?
»Sie brauchen einen Ansporn, Harry«, sagte Möbius, indem er müde in Harrys Gedanken eindrang, gewiss zum fünfzigsten Mal an diesem Tag. »Not macht immerhin erfinderisch. Bis jetzt wissen Sie, was Sie erreichen wollen – und ich glaube auf jeden Fall, dass Sie geschickt genug sind und die intuitive Fähigkeit besitzen, auch wenn Sie es noch nicht geschafft haben –, aber Sie haben noch keinen genügenden Grund, es zu tun! Das ist alles, was Sie jetzt brauchen, den richtigen Ansporn. Den Schubs, der Sie den letzten Schritt tun lässt.«
Harry stimmte zu, nickte mental. »Vielleicht haben Sie recht. Ich weiß, ich werde es tun; ich habe es bloß ... noch nicht versucht? Es ist ein bisschen so, wie wenn man das Rauchen aufgibt: Man kann es, aber man kann es auch nicht. Wahrscheinlich schafft man es, wenn man bereits an Krebs stirbt. Aber so lange will ich nicht warten! Ich will sagen, dass ich die Mathematik beherrsche, die ganze Theorie – ich habe wirklich das Bewusstsein und die Intuition –, aber das Bedürfnis ist nicht da, noch nicht. Der Schubs, wenn Sie so wollen. Ich sage Ihnen, wie sich das anfühlt: Ich sitze in einem gut beleuchteten Raum mit einem Fenster und einer Tür. Ich schaue aus dem Fenster, und draußen ist es dunkel. So wird es immer sein. Es ist nicht Nacht, sondern eine tiefere Dunkelheit, und sie wird ewig bestehen. Es ist die Dunkelheit der Räume zwischen den Räumen. Ich weiß, dass es dort draußen irgendwo andere Räume gibt. Mein Problem ist, dass ich keinen Wegweiser habe. Wenn ich durch diese Tür gehe, werde ich zum Teil der Dunkelheit. Vielleicht kann ich nicht wieder zurückkehren, hierher oder irgendwohin sonst. Es geht nicht darum, dass ich nicht hinaus kann, sondern dass ich nicht daran denken möchte, wie es dort draußen ist. Sie sind draußen, also kann ich auch hinausgehen. Ich spüre, dass es lediglich eine Erweiterung meiner Fähigkeiten ist, aber in eine unerforschte Richtung. Ich bin wie ein Küken im Ei, und ich will nicht schlüpfen, bevor ich es nicht muss.«
»Mit wem sprechen Sie, Harry Keogh?«, fragte eine Stimme, die nicht die von Möbius war, eine flache, kalte Stimme, neugierig und emotionslos.
»Wie?« Erstaunt blickte Harry auf.
Es waren zwei, und es war offensichtlich, wer oder was sie waren. Auch wenn er nichts über Spionage oder Ost-West-Politik wusste, hätte er diese beiden bereits von Weitem erkannt. Ihr Anblick ließ ihn mehr frösteln als der schneidende Wind, der nun über den
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